Glücklich die Glücklichen
Oder im Meer. Aber das ist zu groß (und ich habe Angst vor Haien). Ich sage zu Jeannette, ich möchte, dass du meine Asche in einen Wasserlauf streust, aber ich weiß noch nicht, in welchen. Jeannette schaltet den Toaster aus. Sie wischt sich die Hände an einem herumliegenden Lappen ab und setzt sich vor mich. – Deine Asche ? Du willst dich einäschern lassen, Ernest ? Zuviel Verzweiflung auf ihren Zügen, zuviel Pathos. Ich lache mit böse gebleckten Zähnen, jawohl. – Und das sagst du einfach so, als würdest du vom Gewitter reden ? – Es ist kein großes Gesprächsthema. Sie schweigt. Sie streicht den Stoff der Tischdecke glatt, du weißt, dass ich dagegen bin. – Das weiß ich, aber ich will nicht in eine Gruft gestopft werden, Jeannette. – Du musst doch nicht alles wie dein Vater machen. Mit dreiundsiebzig. – Das ist ein gutes Alter, um es wie sein Vater zu machen. Ich setze meine Brille wieder auf. Ich sage, könntest du so freundlich sein, mich lesen zu lassen ? – Du rammst mir ein Messer in den Bauch, und dann kehrst du zu deiner Zeitung zurück, antwortet sie. Das hätte ich gern, dass eine Zeitung auf dem Bildschirm erscheint. Dazu fehlt mir ein Passwort, eine ID , was weiß ich. Unsere Tochter Odile hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu recyceln. Sie hat Angst, dass ich einrosten und mich isolieren könnte. Als ich noch im Geschäftsleben war, verlangte niemand von mir, mich der Moderne anzupassen. Gewundene Körper flattern über den Bildschirm. Sie erinnern mich an fliegende Mücken, an die Schlieren vor meinen Augen, als ich noch Kind war. Ich hatte einer Freundin damals davon erzählt. Sind das Engel ?, hatte ich sie gefragt. Sie meinte, ja. Darauf war ich irgendwie stolz. Ich glaube an nichts. Ganz sicher nicht an den ganzen religiösen Schwachsinn. Aber an Engel ein bisschen. An Konstellationen. An meine Rolle, so winzig sie sein mag, im großen Buch von Ursache und Wirkung. Es ist nicht verboten, sich als Teil eines Ganzen zu fühlen. Ich weiß nicht, was Jeannette mit diesem Lappen herumfuhrwerkt, statt Toast zu machen. Sie wringt die Ecken, die sie sich um den Zeigefinger wickelt. Das raubt mir jegliche Konzentration. Ich kann mit meiner Frau kein ernsthaftes Gespräch führen. Unmöglich, sich verständlich zu machen. Das gibt es nicht. Schon gar nicht im Rahmen einer Ehe, wo alles gleich zu einer Gerichtsverhandlung wird. Jeannette entrollt brüsk ihren Lappen und sagt mit düsterer Stimme, du willst nicht bei mir sein. – Wo bei dir sein ?, frage ich. – Ganz allgemein, mit mir zusammensein. – Aber natürlich will ich bei dir sein, Jeannette. – Nein. – Im Tod sind wir alle allein. Hör doch mal mit diesem Lappen auf, was machst du denn ? – Ich habe es immer traurig gefunden, dass deine Eltern nicht nebeneinander beerdigt sind. Deine Schwester findet das auch. – Papa ist sehr glücklich in der Braive, sage ich. – Und deine Mutter ist traurig, sagt Jeannette. – Meine Mutter ist traurig ! Wieder meine böse gebleckten Zähne, sie hätte ihm ja nur zu folgen brauchen, statt durch die geplante Umbettung ihrer Eltern für sich selbst in der Familiengruft Platz zu schaffen. Wer hat sie dazu gezwungen ? – Du bist ungeheuerlich, Ernest. – Das ist nichts Neues, sage ich. Jeannette hätte gern, dass wir zusammen beerdigt werden, damit die Besucher unsere beiden Namen sehen. Jeannette Blot und ihr liebender Gatte, ordentlich in Stein gemeißelt. So möchte sie für immer die schmachvollen Zeiten unseres Ehelebens auslöschen. Früher, wenn ich die Nacht woanders verbracht hatte, zerknitterte sie meinen Schlafanzug, bevor das Zimmermädchen kam. Meine Frau zählt auf das Grab, um den bösen Zungen eins auszuwischen, sie will bis in den Tod eine Spießerin bleiben. Der Regen trommelt gegen die Fensterscheiben. Wenn ich aus Bréhau-Monge nach Lamballe zurückkam, wo mein Internat lag, blies der Abendwind. Ich presste meine Nase gegen die Wasserschlieren. Es gab da einen Satz von Renan, »Wenn um siebzehn Uhr die Glocke schlägt ...« In welchem Buch ? Das würde ich gern wiederlesen. Jeannette hat mit dem Lappengefummel aufgehört. Sie starrt in die unbestimmte Ferne, in das trübe Licht des Tages. Als sie jung war, hatte sie etwas Dreistes an sich. Sie ähnelte der Schauspielerin Suzy Delair. Die Zeit verändert auch die Seele der Gesichter. Ich sage, krieg ich nicht mal einen Kaffee ? Sie zuckt die Achseln. Ich frage mich, was für ein Tag das werden
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