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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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das schon ? Im Allgemeinen bezahle ich nachher. Fast immer. Der andere muss mir schon vertrauen, wie ein Freundschaftsbeweis. Den Ägypter bezahlte ich vorher. Zufällig. Er steckte den Schein nicht in die Tasche, sondern behielt ihn in der Hand. So, dass das Geld in meinem Blickfeld war, während ich ihm einen lutschte. Er steckte ihn mir in den Mund. Ich lutschte seinen Schwanz und das Geld. Er stopfte mir den Schein in den Mund und legte mir die Hand aufs Gesicht. Ein Schwur ohne Morgen, von dem kein Mensch je erfahren wird. Als Kind konnte ich meiner Mutter einen aufgelesenen Kiesel oder eine Kastanie schenken. Ich sang ihr auch Liedchen vor. Ebenso überflüssige wie unsterbliche Opfergaben. Ich habe schon oft Patienten von der einzig gültigen Wirklichkeit, der Gegenwart, überzeugen können. Der ägyptische Junge steckte mir den Schein in den Mund und legte mir die Hand aufs Gesicht. Ich nahm alles, was er mir gab, seinen Schwanz, das Geld, die Freude, das Leid.

Loula Moreno
    Anders Breivik, der Norweger, der neunundsechzig Personen erschossen und acht weitere mit einer Bombe getötet hat, sagte in Oslo vor Gericht, »unter normalen Umständen bin ich ein sehr netter Mensch«. Als ich diesen Satz las, fiel mir sofort Darius Ardashir ein. Unter normalen Umständen, wenn er sich nicht gerade darum bemüht, mich kaputtzumachen, ist Darius Ardashir sehr sympathisch. Außer mir, seiner Gattin vielleicht und den anderen Frauen, die das Pech hatten, ihr Herz an ihn zu hängen, weiß niemand, dass er ein Ungeheuer ist. Die Journalistin, die mich heute Morgen interviewt, gehört zu den Frauen, die ihren Tee mit vorsichtigen Bewegungen und einer Reihe kleiner nervtötender Rituale trinken. Gestern Abend gegen sechs Uhr sagte Darius Ardashir zu mir, ich rufe dich in einer Viertelstunde zurück. Mein Handy auf dem Tisch klingelt nicht, leuchtet nicht auf. Es ist zwölf Uhr mittags. In der Nacht bin ich fast durchgedreht. Die Journalistin sagt, Sie sind vor kurzem dreißig geworden, haben Sie einen Wunsch ? – Hundert. – Einen davon. Ich sage, eine Nonne spielen. Oder gewellte Haare haben. Niederschmetternde Antworten. Ich will geistreich sein. Ich schaffe es nicht, ganz schlicht an der Oberfläche zu bleiben. – Eine Nonne ! Sie bemüht sich um ein etwas schiefes Lächeln, das offenbar unterstreichen soll, dass ich nicht die erste Wahl bei dieser Rollenbesetzung wäre. – Warum nicht ? – Was ist Ihr größter Fehler ? – Da gibt es tausend. – Der, den Sie am liebsten los wären ? – Meinen schlechten Geschmack. – Sie haben einen schlechten Geschmack ? Auf welchem Gebiet ? Ich sage, bei den Männern. Sofort tut es mir leid. Ich rede immer zuviel. Neben uns macht ein junges Mädchen einen Tisch sauber. Sie fährt mit einem nassen Lappen über das gewachste Holz, macht die gute alte Kreisbewegung, sie verstellt den Streichholzständer, legt die Kuchenkarte auf einen anderen Tisch, danach legt sie alles wieder an Ort und Stelle und geht weg. Von meinem Platz aus sehe ich sie an der Bar stehen und um eine andere Aufgabe bitten. Die eigentliche Kellnerin gibt ihr ein Tablett, auf das sie in Zeltform gefaltete Werbekarten gelegt hat, sie zeigt auf die leeren Tische, und die Kleine macht sich daran, die Karten neben den Topfveilchen aufzustellen. Großartig, wie gewissenhaft sie ist. Die Journalistin sagt, bevorzugen Sie einen bestimmten Männertyp ? Ich höre mich antworten, gefährliche, irrationale Macker. Ich dämpfe das mit einem kleinen Glucksen ab, schreiben Sie das nicht, Madame, ich rede nur so daher. – Ach, schade. – Schöne, glatte Männer à la Mad Men ziehen mich nicht an, ich mag die kleinen Verbeulten, die schlechtgelaunt aussehen und nicht viele Worte machen. Ich könnte mich weiter ausmären, aber ich ersticke gerade fast an einem Olivenkern. Ich sage, schreiben Sie das alles nicht. – Schon passiert. – Dann veröffentlichen Sie es nicht, das interessiert niemanden. – Im Gegenteil. – Ich möchte nicht so über mich sprechen. – Die Leser werden sich geehrt fühlen, Sie machen Ihnen damit ein Geschenk. Sie zieht ihren Rock unter dem Hintern zurecht und bestellt noch heißes Wasser für ihren Tee. Ich vertilge die letzten Oliven und bestelle ein zweites Glas Wodka. Ich lasse mich einwickeln, ich habe bei solchen Leuten null Autorität. Die Journalistin fragt mich, ob ich erkältet bin. Ich sage, nein, wieso ? Sie findet meine Stimme im wahren Leben tiefer. Sie sagt, ich

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