Glücklich die Glücklichen
zehn Kilometer. Na, du Freches , als ob nichts wäre. Darius Ardashir ist der Meister der puren Gegenwart. Die Nacht löscht alle Spuren des Vortages, und die Worte prallen so leicht von allem ab wie Heliumballons. Ich schreibe: »Wer ist das ?« Und bereue es sofort. Ich schreibe: »Nein, mir egal.« Aber das lösche ich zum Glück wieder. Die Journalistin seufzt und lässt sich gegen die Sessellehne sinken. Ich schreibe: »Wollten wir nicht gestern Abend essen gehen ? Nein ? !« Löschen, bloß löschen. Vorwürfe lassen die Männer in großen Sätzen die Flucht ergreifen. Zu Anfang sagte Darius Ardashir zu mir, ich liebe dich mit dem Kopf, dem Herzen und dem Schwanz. Den Spruch erzählte ich Rémi Grobe, meinem besten Freund, der darauf sagte, ein Dichter, dein Typ, das probier ich mal aus, bei gewissen Dummtorten funktioniert das vermutlich. Bei mir funktioniert es bestens. Ich habe keine Lust auf allzu feine Zwischentöne. Ich sage zur Journalistin, wovon sprachen wir gerade ? Sie schüttelt den Kopf, sie weiß es selber nicht mehr. Mir dreht sich der Kopf. Ich rufe den Kellner, ich bestelle noch einen salzigen Mix, mit Cashewnüssen vor allem. Dieses Wer ist das ? kann ich nicht so stehen lassen. Zu schwach. Vor allem, da er nicht antwortet. Dann fällt mir etwas Gutes ein. Ich schreibe: »Sag ihr, du magst nur Anfänge.« Exzellent. Ich schicke es ihm. Nein, ich schicke es nicht. Ich weiß noch was Besseres. Ich winke noch mal dem Kellner. Er kommt mit den Chips und den Cashewnüssen. Ich bitte ihn um ein Blatt Papier. Ich sage zu der Journalistin, entschuldigen Sie, ist alles ein bisschen konfus heute Morgen. Sie hebt schlaff die Hand zum Zeichen ihrer völligen Ergebung. Ist mir das peinlich ? Keine Zeit dafür. Der Kellner bringt mir ein großes Blatt Schreibpapier. Ich bitte ihn zu warten. Ich schreibe den Satz ganz oben hin und falte das Blatt sorgfältig zusammen. Ich bitte den Kellner, es diskret dem Mann in der braunen Jacke neben dem Piano zu bringen, ohne zu sagen, wo es herkommt. Der Kellner sagt mit entsetzlich heller Stimme, Monsieur Ardashir ? Ich bestätige mit einem Wimpernschlag. Er zieht los. Ich stürze mich auf die Mischung aus Pistazien und Cashewnüssen. Ich darf auf gar keinen Fall nachschauen, was gerade neben dem Piano passiert. Die Journalistin ist aus ihrer Erstarrung aufgetaucht. Sie hat ihre Brille abgesetzt und sie in ihrem Etui verstaut. Sie räumt auch ihre Unterlagen zusammen. Ich kann jetzt aber nicht hier allein bleiben. Ich sage zu ihr, wissen Sie, ich fühle mich alt. Mit dreißig fühlt man sich nicht jung. Heute Nacht konnte ich nicht schlafen, da habe ich in Paveses Tagebuch gelesen. Kennen Sie das ? Es liegt auf meinem Nachttisch, es tut gut, etwas Trauriges zu lesen. An einer Stelle schreibt er: »Alle die Verrückten, die Verfluchten, die Verbrecher sind Kinder gewesen, haben gespielt wie du, haben geglaubt, dass etwas Schönes sie erwarte.« Schreiben Sie das nicht, aber ich habe lange geglaubt, dass ich in diesem Beruf nur eine Sternschnuppe sein würde. Die Journalistin betrachtet mich besorgt. Sie ist nett, die Ärmste. Der Kellner kommt mit dem zusammengefalteten Blatt Papier zurück. Ich zittere. Ich halte es einen Moment in der Hand, dann entfalte ich es. Oben steht mein Satz, »Sag ihr, du magst nur Anfänge«, unten hat er mit feiner schwarzer Schrift geschrieben »Nicht immer«. Sonst nichts. Ohne Punkt. Auf wen bezieht sich das ? Auf mich ? Auf die Frau ? ... Ich wende meinen Blick in Richtung Piano. Darius Ardashir und die Frau sind bester Laune. Die Journalistin beugt sich zu mir und sagt, etwas Schönes hat Sie erwartet, Loula.
Raoul Barnèche
Ich habe einen Treff-König gegessen. Nicht ganz, aber fast. Ich bin ein Mann, mit dem es so weit gekommen ist, dass er einen Treff-König in den Mund stecken kann, ein Stück abbeißt, es kaut, wie ein Wilder rohes Fleisch kauen würde, und es runterschluckt. Das habe ich getan. Ich habe eine Karte gegessen, die Dutzende andere vor mir befingert hatten, mitten im Turnier in Juan-les-Pins. Nur eins muss ich zugeben, den Anfangsfehler. Mit Hélène zu spielen. Mich erwischen zu lassen von der kleinen Nachtmusik der weiblichen Gefühle. Seit Jahren weiß ich, dass ich nicht mehr im Team mit meiner Frau Hélène spielen sollte. Die Zeit, als wir das noch voll Harmonie tun konnten – das ist übertrieben formuliert, diesen Begriff gibt es beim Bridge nicht –, also sagen wir, in einem
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