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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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dem Üben der diversen Knoten genervt. Im Nachhinein war ich ihm dankbar dafür.
    Bevor ich mich aufrichtete, tastete ich meinen Körper und meine Gliedmaßen ab. Es schien alles dran und vor allem noch ganz zu sein. Meine Finger glitten über die Ausbuchtung in meiner linken Jackentasche. Die Taschenlampe und mein Handy. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so erleichtert gefühlt. Fast hätte ich aus lauter Dankbarkeit zu beten begonnen.
    Ich schaltete die Lampe ein und richtete den Strahl auf das Display des Handys. Natürlich hatte ich keinen Empfang. Was hatte ich anderes erwartet? Eine funktionierende Taschenlampe war momentan fast genauso wichtig wie ein funktionierendes Handy, redete ich mir ein.
    Langsam erhob ich mich und tastete mit dem Lichtstrahl den unheimlichen Raum ab. Von der Decke hingen schwere Ketten und Eisenringe herab und an den dunklen Holzbalken waren Seile befestigt. Ein Schraubstock und eine Streckbank standen mitten im Raum. Die Tür war zu. Ich warf mich dagegen, rüttelte heftig an dem altmodischen Schloss. Es gab keinen Zentimeter nach. Ich wusste, dass man die Tür von außen mit einem dicken Balken verriegeln konnte.
    Trotz aller Dankbarkeit für den Leatherman wurde mir bewusst, dass er mir, falls mein Angreifer wieder aufkreuzte, nicht viel nützen würde. Ich versuchte, die schweren Ketten von der Decke zu lösen. Ein vollkommen unmögliches Unterfangen. Die anderen Folterinstrumente waren alle fest im Boden verankert. Weit und breit keine Eisenstange oder irgendein Werkzeug, mit dem ich zuschlagen könnte.
    Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Fünf Uhr. Morgens oder nachmittags? War ich seit drei oder gar seit fünfzehn Stunden gefangen? Mein Magen meldete sich noch nicht. Ich hatte auch keinen Durst. Also war ich wohl erst seit etwa drei Stunden hier unten. Sollte ich auf den Morgen warten, warten, bis die anderen mich suchen würden?
    Mein Herz raste weiterhin. Der Schweiß lief über meine Stirn. Ich spürte die feuchten Haarsträhnen auf meinen Wangen. Sie werden mich nie finden, sagte die Stimme der kleinlauten, ängstlichen Joe. Und was soll ich tun, wenn der Typ aufkreuzt, der mich niedergeschlagen und hier unten eingesperrt hat? Soll ich ihn mit meinen dürftigen Karate-Kenntnissen und der größten Klinge des Leathermans in Schach halten?
    Ich war nahe daran zu heulen. Schimpfte mich selbst „blöde Heulsuse“ und musste sogar schmunzeln, als mir bewusst wurde, dass ich bereits Selbstgespräche führte.
    Der Klang meiner eigenen Stimme hatte mich wieder zur Vernunft gebracht. Ich war schon einmal ein paar Stunden hier unten eingeschlossen gewesen, erinnerte ich mich plötzlich. Franzi und ich hatten, als wir klein gewesen waren, in den unterirdischen Räumen des Schlosses gern Verstecken gespielt. Wir kannten praktisch jede Ecke in diesem schrecklichen Verlies. Ich musste mich nur besser konzentrieren, dann würde die Erinnerung schon von allein kommen, sagte ich mir. Hatte mich meine Mutter damals gefunden? Hatte ich sie durch Schreie herbeigerufen? Oder hatte ich es selbst geschafft, mich zu befreien?
    Ich setzte mich auf den Steinboden, lehnte mich mit dem Rücken an die Streckbank und zündete mir eine Zigarette an. Nach dem ersten Zug fühlte ich mich besser. Ich zählte die restlichen Tschiks in meinem Päckchen. Wenn ich jede halbe Stunde eine rauchen würde, könnte ich noch fünf Stunden durchhalten, ohne auszuflippen. Kaum hatte ich die erste Zigarette am Boden ausgedämpft, zündete ich mir die nächste an.
    Ich musste mich nur erinnern, erinnern, wie ich damals hier herausgekommen war. Doch Erinnerungen lassen sich nicht befehlen. Um Batterie zu sparen, schaltete ich meine Taschenlampe wieder aus.
    Irgendwann schlummerte ich ein.
    Ein lautes Knarren weckte mich auf. Die schwere Tür schien sich zu bewegen. Ich erstarrte, überzeugt, meine letzte Stunde sei gekommen. Intuitiv schloss ich die Augen und umklammerte den Schaft meines Leathermans. Ich war nicht gewillt, mich ohne Gegenwehr abschlachten zu lassen.
    Als ich die Augen wieder öffnete, war ich geblendet. Ein grellgelbes Licht war direkt auf mein Gesicht gerichtet. Ich machte meine Taschenlampe an. Albert stand zwei Meter vor mir. Er wirkte wie in Trance. Bestimmt war er voll mit Dope. Seine traurigen Augen starrten auf das Messer in meiner blutigen Hand.
    Reden, Joe, einfach nur reden, so lange du noch reden kannst, dachte ich.
    „Albert, Gott sei Dank, dass du mich gefunden hast“, sagte

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