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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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gefolgt? Hatte ich etwas überhört? Das Knirschen von Kies? Das Quietschen der rostigen Türangel am Haupteingangstor?
    Ich nahm eine Bewegung hinter mir wahr. „Hallo“, sagte ich halblaut.
    Keine Reaktion.
    Auf einmal drehte der Wind. Ein kalter Hauch blies mir ins Gesicht, und das eigenartige Geräusch wurde vom monotonen Dröhnen der Motoren auf der Autobahn überlagert.
    Meine Augen hatten sich inzwischen an die Finsternis gewöhnt. Ich bildete mir ein, dass sich aus dem Schatten der Orangerie eine Silhouette löste und auf mich zu bewegte.
    „Mario?“, fragte ich zögernd und tastete nach meinem Handy. Bevor ich es aus der Jackentasche nehmen und die Wiederholungstaste drücken konnte, kam die unheimliche Gestalt auf mich zu.
    Ich wollte davonlaufen. Grobe Hände packten mich an den Armen. Als ich versuchte, mich loszureißen, schloss sich eine Hand von hinten um meinen Mund. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war ein nach Bier stinkender Atem. Im selben Augenblick spürte ich einen dumpfen Schlag auf meinen Hinterkopf. Ein greller Blitz zuckte durch mein Gehirn. Dann spürte ich nichts mehr.
    Als ich wieder zu mir kam, geriet ich erst recht in Panik und begann laut zu schreien. Ich konnte meinen Schrei nicht hören. In meinem Mund steckte ein Stück Stoff, das mit einem Klebeband an meinen Wangen befestigt war. Ich bekam kaum Luft. Mein Herz pochte heftig. Ich wusste nicht, wo ich war, fühlte mich benommen und hatte höllische Kopfschmerzen. Erst als ich wegen der Dunkelheit meine Augen weit aufreißen wollte, bemerkte ich, dass ich eine Art Binde vor den Augen hatte.
    War ich allein oder befand sich mein Angreifer in der Nähe? Ich lauschte. Es war vollkommen still.
    Ich lag auf etwas Hartem. Auf einem Steinboden? Und ich befand mich in einem ungeheizten Raum. Trotz der Schweißperlen auf meiner Stirn fror ich.
    Vergeblich versuchte ich, eine Hand zu heben. Meine Handgelenke waren vor meiner Brust gefesselt. Ich spürte die Schnur um meinen Oberkörper und den Knoten im Rücken. Meine Arme hatten so gut wie keinen Bewegungsspielraum. Auch meine Beine konnte ich fast nicht bewegen. Der Strick um meine Knöchel bohrte sich in mein nacktes Fleisch, als ich hilflos zu zappeln begann.
    Ich würde gleich ersticken. Oder erfrieren? Oder an einem Herzinfarkt sterben? Ich war außer mir vor Angst. Kalte Schauer krochen über meinen Rücken, wechselten sich mit Schweißausbrüchen ab. Der Pullover klebte auf meiner feuchten Haut. Meine Kehle war vollkommen ausgedörrt. Ich fühlte mich meinem Angreifer total ausgeliefert. Hilflosigkeit, Verzweiflung, Panik.
    Etwa krabbelte über mein Ohr, meine Nase juckte. Ich bemühte mich, das Ungeziefer zu ignorieren, das sich auf meinem Gesicht austobte.
    Bleib ruhig, Joe, denk nach, sagte ich mir mehrmals vor. Ich versuchte, mich mit autogenem Training abzulenken. Mein rechter Arm wird schwer, immer schwerer …, und der linke Arm …
    Eine Minute, fünf Minuten …? Außer dem nach wie vor heftigen Klopfen meines Herzens vernahm ich kein Geräusch.
    Ich verdrehte die Handgelenke, hoffte, der Strick würde sich lockern. Ich strengte mich an, bekam nicht genügend Luft. Mir wurde übel.
    Nur ja nicht kotzen, sonst erstickst du womöglich an deinem Erbrochenen, dachte ich und bemühte mich, regelmäßiger zu atmen. Blieb still liegen und lauschte. Nicht das leiseste Geräusch. Ich war allein.
    Keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Ich war überzeugt, mich irgendwo im Schloss zu befinden. Selbst wenn ich den Knebel loswerden würde, kein Mensch würde meine Schreie hören. Mit diesem frustrierenden Gedanken in meinem schmerzenden Hinterkopf fiel es mir schwer, weiter nachzudenken.
    War mein Angreifer in der Nähe? Wer hatte mich überfallen? Wer war dieser gesichtslose Mann? War es überhaupt ein Mann gewesen? Die Gestalt, die auf mich zugekommen war, hatte ungefähr meine Größe gehabt. Walpurga war mindestens einen halben Kopf kleiner als ich.
    Plötzlich bildete ich mir ein zu wissen, wo ich war. Ich lag geknebelt, gefesselt und mit verbundenen Augen im Verlies des Schlosses, genau an dem Ort, wo sich der alte Baron von Welschenbach erhängt hatte.
    Diese Erkenntnis beruhigte mich keineswegs. Was für ein scheußlicher Gedanke! Der Magen drehte sich mir um. Ich versuchte, gleichmäßig durch die Nase zu atmen. Tränen stiegen hinter meinen verbundenen Augen hoch. Nicht weinen, befahl ich mir und begann wieder, an meinen Hand- und Fußfesseln zu

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