Glückliche Ehe
»Moment. Langsam. Du verstehst mich nicht.«
»Was?«, fragte das Stacheltier. »Was verstehe ich nicht?«
»Ich habe in meinem Beruf jede Menge Rückschläge erlebt. So oft schon wollte ich aufgeben, und immer hast du mir Mut gemacht und mich dazu gebracht weiterzuschreiben. Sogar als ich uns in Schulden gestürzt habe, hast du mich unterstützt. Aber als du nach deiner einzigen Enttäuschung – als die Galerien damals deine Bilder nicht habenwollten –, als du da mit dem Malen aufgehört hast, da habe ich nicht –«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Damit hatte es nichts zu tun.« Der erste Gang kam, und sie schwiegen, während ihnen umständlich die Speisen vorgesetzt wurden. Er hatte die Stimmung verdorben. Ihr mädchenhaftes Lächeln, ihr freches Lachen, ihr blitzender Blick waren verschwunden. Es war ein Fehler gewesen. Die Wunde war noch nicht verheilt. Als der Kellner sich zurückzog, sagte sie: »Lass uns nicht darüber reden.«
»Entschuldige, dass ich es angesprochen habe, aber da wir nun mal dabei sind, sollten wir nicht versuchen –«
»Ich will nicht«, fauchte sie und sah ihn nicht einmal an.
Er gab sich geschlagen. Liebe ich diese Frau wirklich? , fragte er sich. Ich brauche sie. Sie ist mein Leben. Aber liebe ich sie – ihre Heimlichtuerei und ihre Kontrollwut? Ich kann es nicht ausstehen, dass sie keinen Zentimeter nachgibt. Niedergeschlagen stocherte er im ersten Gang herum, Ravioli mit Thunfischfüllung, ausreichend für eine ganze Mahlzeit. Er hörte eine Biene summen und vom Nebentisch das leise englische Gemurmel der alten Männer. Und plötzlich sagte seine Frau in sanftem, versöhnlichem Ton: »Ich bin nicht wie du. Ich brauche das nicht zum Glücklichsein.« Er blickte auf, in ihre wunderschönen blauen Augen, die in der strahlenden Sonne des ewigen Frühlings von Torcello blasser wirkten als sonst und um Verständnis zu flehen schienen. »Mich nervt nur, dass du mir das Gefühl gibst, ich sei für dich nicht gut genug, wenn ich keine Künstlerin bin. Manchmal glaube ich, du würdest mich nur lieben, wenn ich Künstlerin wäre.«
Enrique sah sie überrascht an. Nahm sie ihn wirklich so wahr? Er widersprach nicht sofort.
»Das ist eine fixe Idee in deiner Familie. Jeder muss Künstler sein, sonst ist er nicht gut genug. Ich male gern.Ich fotografiere gern. Aber ich will keinen Beruf daraus machen. Immer wenn ich einen Beruf daraus machen wollte, hat mich das nur unglücklich gemacht. Ich bin nicht wie du. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das erkannt habe. Ich muss nicht malen, um glücklich zu sein. Ich bin glücklich. Hier. Mit dir. Mit dem hier.« Sie wies auf den Garten, auf die alten Engländer, auf die Bienen und die im Oktober blühenden Büsche, auf die Kellner in den schwarzen Anzügen und schließlich auf Enrique. »Ich bin glücklich«, sagte sie, und ihre flehende Miene wurde zu einem fröhlichen Lächeln. »Wenn du mit mir glücklich bist, so wie jetzt, dann bin ich auch glücklich.«
Er wusste, dass an ihrem Vorwurf etwas dran war. Er hatte jahrelang eine Therapie gemacht, um die Vorurteile und abwertenden Einstellungen, den Snobismus und die Ignoranz seiner Eltern zu überwinden – Margaret musste während dieses Kampfes einiges mitgemacht haben. Er schwor ihr, bis er sicher war, dass sie ihm glaubte, es sei ihm egal, ob sie je wieder einen Pinsel oder eine Kamera in die Hand nehme, sie sei alles, was er wolle.
Und für einen Augenblick, im großen Verzeihen dieses Hochzeitstages, verstand er das Wesen seiner Ehe. An diesem sonnigen Nachmittag in Torcello begriff er, dass ihn Margarets Zufriedenheit über ihren Platz in der Welt ehrfürchtig machte, dass sie das war, was sich für ihn als dauerhaft erwiesen hatte. Sein Vater war gestorben, seine Eitelkeit und sein Glaube an die Kunst waren dahin. Was er dem Leben an wahrem Wert abgewonnen hatte, war das, was sie ihm gegeben hatte.
18 LIEBLOS
W ir führen keine Ehe. Wir sind nur Leute, die ständig irgendetwas erledigen müssen und sich eine Wohnung teilen. Wir drücken uns gegenseitig Greg in die Arme. Das ist der einzige Kontakt zwischen uns. Ich komme nach Hause, und er drückt mir den Kleinen –«
»Ich drücke dir den Kleinen nicht in die Arme, wenn du nach Hause kommst.« Enrique konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, obwohl Dr. Goldfarb vermutlich sagen würde, dass Margaret ja nur seiner Aufforderung nachkam und sagte, wie sie über ihre Ehe dachte. »Du kommst um zwei Uhr morgens nach Hause! Wie
Weitere Kostenlose Bücher