Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
ausschüttete, war bizarr. Es ärgerte ihn, dass sie ihre Klagen so laut und selbstgerecht vorbrachte. Ihr Lächeln war weg. Der Psychiater hatte sie aus dem Konzept gebracht. Enrique freute sich hämisch. Immer zog er in Auseinandersetzungen mit seiner Frau den Kürzeren, weil sie diesen Kniff beherrschte: Sie verkehrte seine Kritik an ihr in das, was ihr an ihm nicht passte. Zum Beispiel dieser Jiu-Jitsu-Trick gerade eben: Das Problem in ihrer Ehe war, dass Enrique Sex mit seiner Frau wollte. Widerlich! Vielleicht, ganz vielleicht, wird dieser träge Fisch von Eheberater ihr ja zeigen, wie verrückt ihre Methode ist.
    Margaret saß mit dem Gesicht zu den Fenstern. Die Spätnachmittagssonne hinter dem Central Park einen Block weiter fiel über die Dächer der Fifth Avenue und genau in Margarets meerblaue Augen. Die Sonnenstrahlen sammelten sich darin und glitten als blau-gelbes Schillern ihre Wangen hinab. Enrique brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass Tränen auf ihren Wangen schimmerten und keine Sonnenstrahlen. »Ich bin traurig«, sagte sie, und die harte, eifrige Stimme war weg. Das hier war die weiche Stimme, die sie benutzte, um Gregory zu trösten oder Enrique etwas Netteszuzuflüstern, wenn sie mit ihm zufrieden war. »Ich bin sehr traurig«, sagte sie wieder, und Tränen hingen an ihrem Kinn, bevor sie ihr auf den Schoß fielen. »Ich liebe Enrique, und ich glaube nicht, dass er mich noch liebt. Wir sind wie zwei Fremde. Er will mich nicht, er will mich nicht kennenlernen, er macht sich nichts aus mir, ich bin für ihn nur ein Klotz am Bein.« Ihr Gesicht schimmerte feucht, und sie schluchzte. Mit zwei Fingern, als setzte er Pokerchips, beförderte Dr. Goldfarb eine Kleenex-Packung von seiner Seite des Schreibtischs auf ihre. Sie tupfte sich das Gesicht ab, sagte »Danke« und schnäuzte sich die Nase.
    Enrique wollte sie in den Arm nehmen. Er wollte ihr versichern, dass er sie liebte. Aber er rührte sich nicht und sagte kein Wort. War er nicht deshalb hier? Damit sie durch diese Sitzungen akzeptierte, dass er sie nicht mehr liebte? Dann wäre er frei und könnte glücklich und zufrieden mit Sally leben, die jeden Tag ihre vollen Lippen öffnete, um ihn zu küssen und ihm freiwillig zu sagen, dass sie ihn liebte, ohne dass ein Therapeut sie dazu bringen musste. Sally war lustig und offen und erzählte ihm alles, was ihr durch den Kopf ging. Es war leichter, Sally zu lieben als Margaret. Obwohl er sich mies und gemein vorkam – ein Schurke, der im Film Buhrufe ernten würde, ein kaltherziger KZ-Aufseher, der oberflächliche, materialistische Typ, von dem sich die Heldin losmachen muss, um den richtigen warmherzigen, liebevollen Mann zu finden –, obwohl er wusste, dass er ein Schuft war, sagte er nichts.
    Auch Margaret schwieg. Sie weinte stetig vor sich hin, zierlich und reglos auf ihrem Stuhl, ein todtrauriges kleines Mädchen. Dass er immer noch nichts sagte, kein einziges beruhigendes Wort, entsetzte ihn selbst. Bestimmt war auch sie schockiert und tief verletzt, weil er ihr nicht seine Liebe erklärte. Dr. Goldfarb bewegte wie ein Rhinozeros seinen kahlen Kopf, und seine toten Augen fixierten Enrique. Nichtherausfordernd. Nicht angewidert. Nur eine Spur neugierig. »Wie ist das für Sie, En-Ricky?«, fragte er. »Was fühlen Sie bei dem, was Margaret sagt?«
    »Klar liebe ich Margaret«, sagte er in beleidigtem Ton. »Ich habe sie ja geheiratet.« Seine Frau schluchzte wieder auf. Sie ergriff noch mehr Papiertaschentücher und hielt sie sich vor den Mund, um sich zu beherrschen. Sie blickte herüber, und er begegnete ihrem Blick, das erste Mal, dass sie sich in die Augen sahen, seit sie sich im Wartezimmer getroffen hatten. Er erkannte in ihren sonst so forsch blickenden Augen, wie verletzt sie war, sie schien unter seinem Blick zusammenzuzucken. So ungeschützt konnte sie ihn nicht lange ansehen. Sie guckte weg, starrte in eine Ecke, auf den Teppichboden und einen Flechtpapierkorb. Sie räusperte sich und versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. Als er dieses Ringen beobachtete, wurde ihm zum ersten Mal in den sieben Jahren, die er sie kannte, klar, dass ihre coole Art – die klare, scharfe Stimme, die kleinmädchenhaft-eifrige Pose – nur Fassade war. »Ich wusste nicht, dass sie so empfindet«, erklärte Enrique dem Psychiater. Er wandte sich ihr leicht auf dem harten Holzstuhl zu und sagte zu Margarets jetzt wieder würdevoll-gefasstem Profil: »Ich wusste nicht, dass ich dir so viel

Weitere Kostenlose Bücher