Glückliche Ehe
fotografieren: zwei stramme junge Venezianer mit olivfarbenem Teint in feschen blau-weiß gestreiften Matrosenhemden, ausgestellten blauen Hosen und adretten roten Mützen auf hübschen Köpfen mit dichtem schwarzem Haar. »Du bist ja verliebt«, beschwerte sich Enrique, als sie den Hübscheren der beiden dazu brachte, beim Einholen der Festmachleine im Bug zu posieren.
Seine Frau lächelte verschmitzt. »Sie sehen aus wie du, Puff«, flüsterte sie und küsste ihn rasch und leicht auf die Lippen. Ihre waren nass, kühl und salzig von der Gischt des Golfs von Venedig. Enrique sah skeptisch drein. »So hast du ausgesehen, als ich dich kennenlernte«, berichtigte sie sich.
Sie wollte nur nett zu ihm sein. Er war dürr und schlaksiggewesen, ganz und gar nicht wie ein muskulöser Seemann. Aber dichtes, volles, rabenschwarzes Haar hatte er tatsächlich gehabt. »Du könntest mich wegen irreführender Werbung verklagen«, sagte er und zeigte auf sein schütteres Haar.
Sie lächelte wehmütig. »Meinst du, das Gericht gibt mir meine Taille wieder?«
Für ihre Reservierung um ein Uhr kamen sie fünfundvierzig Minuten zu früh an. Margaret wollte mit Enrique noch den empfohlenen Spazierweg rund um die Insel gehen. »Wir werden wohl Champagner trinken müssen«, sagte sie. »Das wird ein sehr dekadenter Lunch. Vielleicht brauchen wir gar kein Abendessen mehr.«
»Ich brauche immer ein Abendessen«, sagte Enrique und blieb an einer Stelle stehen, die einen weiten Blick bot. Er breitete den rechten Arm aus und bedeutete ihr, sich an ihn zu schmiegen. Sie tat es, aber er merkte, dass sie lieber weitergegangen wäre. Ein kleiner Busch mit winzigen gelben Blüten flirrte zwischen ihnen und dem Wasser, dahinter sahen sie in der Ferne die schwimmende Stadt. Es war ein heißer Tag. Die Bienen summten, und alles schien zu blühen. Wie konnte das im Oktober sein? Vielleicht lag die Insel ja auf einem magischen Breitengrad für die Superreichen, auf dem immer Frühling war. Er drückte Margaret fest an sich und ließ sie wieder los. »Willst du noch weitergehen?«
»Wir sollten umkehren. Ich möchte etwas früher da sein, damit wir uns einen Tisch im Schatten aussuchen können. Es ist wirklich heiß heute. Wie Sommer. Ich finde es herrlich.«
Sie kehrten um und spazierten zu dem niedrigen grünen Gebäude zurück, in dem sie bereits die Locanda erkannt hatte. Er seufzte tief. Sie fragte: »Denkst du an das Angebot?«
»Ja«, log er.
»Nimm es nicht an, wenn du nicht willst. Wir haben genug Geld, falls du wieder einen Roman schreiben willst.«
Das überraschte ihn. Erfreut griff er nach ihrer Hand und ließ ihrer beider Arme schwingen, wie früher, wenn sie beim Spaziergang die Kinder zwischen sich genommen hatten. Sie kamen ans Ende des gerodeten Weges und betraten die Kieszufahrt zur Locanda. »Du meinst also, ich soll wieder einen Roman schreiben?« Sie gab keine Antwort. Sie hielt ihm das Profil zugewandt, sah ihn nicht an. Das Schweigen dauerte zu lange. Sie zögerte, aber heute wollte sie wohl wie er die Wahrheit sagen. »Sprich dich ruhig aus«, drängte er.
»Nein, ich glaube, du solltest keinen mehr schreiben«, antwortete sie prompt. Sie sah ihn an und machte eine bedauernde Schnute, ein Zeichen, dass sie fürchtete, ihn verletzt zu haben.
Er antwortete nicht, und sie betraten das Restaurant, gingen durch die Vorhalle ins Innere, vorbei an Fotos von Papa Hemingway und Prinz Charles, und dann hinaus in den Garten, wo die Tische mit schwerem Leinen, funkelndem Kristall und schimmerndem Silber gedeckt waren.
Auf Margarets Anweisung hatte Enrique sich fein gemacht, mit blauem Blazer, grauer Hose und blau-weiß gestreiftem Hemd. Um die Krawatte hatte er sich gedrückt. Jetzt wünschte er fast, er hätte sich eine umgebunden. Er fühlte sich nackt im Vergleich zu den Kellnern in schwarzem Anzug und Fliege und den beiden rotgesichtigen älteren Männern im Nadelstreifenanzug, die in Begleitung zweier schmuckbehangener Frauen in geblümten Kleidern am Nebentisch saßen. Andererseits war es heiß in der stillen Gartenluft, obwohl ihr Tisch unter einer schattenspendenden Weinlaube stand. Er hätte gern das Jackett ausgezogen, fürchtete aber, wegen einer so obszönen Entblößung hinausgeworfen zu werden. Trotz der unbequemen Förmlichkeit fühlte er sich wohl und frei von Sorgen des Alltags, wenn er seine lächelnde Frau ansah – so schön und fröhlich wie ein junges Mädchen in ihrem schwarzen Seidenkleid mit demroten,
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