Glückliche Ehe
East Side weiterzuempfehlen. Sie riet ihr, eine Mappe mit Dias von ihren Bildern zu verschicken, und kam noch ein zweites Mal ins Atelier, um ihr bei der Auswahl zu helfen. Margaret griff den Vorschlag sofort auf, ohne Anzeichen ihres üblichen Widerstrebens, wenn es um Reklame für ihre Bilder ging. Sie schickte die Dias so bald wie möglich an die Galerien. Enrique war verblüfft über die Energie und die Kraft, die sie in der Woche ausstrahlte, als sie auf die Reaktionen wartete. Während er ihren begeisterten Plänen für eine neue, ganz andere Bilderserie lauschte, kam er zu dem Schluss, dass sie sich aus Selbstschutz all die Jahre selbstkritisch vom Künstlertum abgewandt hatte. Offenkundig wünschte sie sich ebenso wie er Anerkennung.
Allmählich kamen die Absagen. Bis zum Ende der zweiten Woche hatte sie drei erhalten. Wie Enrique sehr wohl wusste, waren diese Absagen von der Art, wie sie sich jeder Anfänger wünschte. Keine vorformulierten Briefe, sondern durchdachte Erklärungen, warum Margarets Bilder, wenngleich aussagestark und gut gemalt, nicht in das jeweilige Galeriekonzept passten. Manche boten ihr an, sie anderen Galerien zu empfehlen; ein Galerist riet ihr, Auftragsporträtszu malen und sich so allmählich einen Kundenstamm aufzubauen. Alle baten sie, falls sie sich einem anderen Thema zuwende, zuerst ihnen die neuen Arbeiten zeigen. »Jemand wird die Bilder nehmen«, ermutigte Enrique Margaret.
Am Dienstag der darauffolgenden Woche kam er zum Mittagessen nach Hause. Sie hatte die Post schon geholt. Sie saß auf der Chaiselongue unter der Treppe, wo sie nachmittags gern Krimis las. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Auf dem Boden lagen acht Absagen, und auf seine Frage »Was ist los?« zeigte sie auf den Papierhaufen. Er las jede einzelne. Die Galeristen beteuerten ihr Bedauern, machten ihr Mut und schlugen andere Ausstellungsorte vor; viele wiederholten den Rat, sie solle doch Aufträge für Kinderbilder annehmen und sich so ein Publikum aufbauen. Alle baten, sie möge, wenn sie je etwas anderes ausprobiere als Porträts, doch bitte zuerst zu ihnen kommen. »Margaret«, sagte Enrique und meinte jedes Wort ehrlich, »wenn ich als Anfänger diese Absagen bekommen hätte, wäre ich vor Freude außer mir gewesen. Sie finden deine Bilder gut. Sie haben sich für diese Briefe Zeit genommen. Wenn sie der Meinung gewesen wären, dass du nur deine und ihre Zeit verschwendest, hätten sie Standardabsagen geschickt. Sie glauben nicht, dass sie diese Bilder verkaufen können, aber sie wollen, dass du weitermachst, und irgendwann wird dich jemand nehmen. Lass dich nicht entmutigen. Ich weiß, es klingt, als wollte ich dich nur beruhigen, aber es sind wirklich phantastische Absagen.«
Die Tränen waren versiegt. Ihr Blick war traurig und leer und seltsamerweise zärtlich. Sie sagte nichts. Er fürchtete schon, sie würde in ihre typische Schweigsamkeit verfallen und sich weigern, zu sagen, was sie dachte. Aber dann sprach sie doch. »Ich habe dich beobachtet«, sagte sie und schwieg wieder.
»Was?«, fragte er verwirrt.
»Zwanzig Jahre lang habe ich beobachtet, wie du so etwas aufnimmst« – sie wies auf die Absagen – »und immer weitermachst, und ich weiß nicht, wie du das schaffst. Ich kann das nicht. Ich kann es einfach nicht. Tut mir leid. Ich bin nicht stark genug.«
Er fasste sie an den vor Niedergeschlagenheit kraftlosen Armen, zog sie von der Chaiselongue hoch, umschlang sie und flüsterte: »Dann male einfach so. Stell deine Bilder nicht aus. Wenn du es nicht aushältst, male einfach so.«
Sie war einverstanden. Eine Zeitlang malte sie tatsächlich, begann eine neue Serie, die zu seinem Erstaunen noch besser war, selbstsicherer, perfekter, als hätten die Absagen sie bestärkt. Aber so war es nicht, oder vielleicht zehrte auch etwas anderes an ihrer Kraft. Ihr Kampfgeist war kurzlebig. Sie brachte immer weniger Bilder mit nach Hause und bald gar keine mehr. Nach sechs Monaten hörte sie auf, regelmäßig ins Atelier zu gehen, und als sie im August in Maine waren, sprach sie davon, den Mietvertrag im Dezember auslaufen zu lassen.
Jetzt war die Angst aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie schnappte sich ihr Champagnerglas und grinste. »Du? Deinetwegen habe ich nicht mit dem Malen aufgehört. Wieso hätte ich deinetwegen aufhören soll? Mit dir hat das nichts zu tun.«
Ebendeshalb, weil sie immer so zickig und trotzig wurde, wenn sie auf diese Frage zu sprechen kamen, mied er das Tabuthema.
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