Glückliche Ehe
Lebensorganisation umkrempeln, verfügen, welche Wäsche die Putzfrau erledigen sollte und welche nicht, und erreichen, dass Greg, ein bemerkenswert unmusikalisches Kind, in den Suzuki-Geigenunterrichtgeschickt wurde – damals der letzte Schrei bei den Töchtern ihrer Freundinnen aus Great Neck. Sie erklärte, sie verstehe nicht, warum Margaret und Enrique die Sommerferien in Maine verbrächten, wo sie doch nicht »unter ihresgleichen« seien. Sie missbilligte, dass Margaret umsonst bei einer neugegründeten kleinen Zeitschrift arbeiten wollte, und konnte es später dann nicht fassen, dass sie einen Atelierraum zum Malen mietete, ohne gleichzeitig einen Zeichenkurs zu machen. Schließlich hatte eine Freundin von ihr, die malen wollte, auch einen Kurs besucht.
Dorothy steckte ihre Nase in alle Angelegenheiten ihrer Tochter, auf dieselbe aufdringliche, fürsorgliche Art, wie sie es bei ihren Freundinnen machte. Sie wusste nicht, dass nicht mal Enrique in jene Winkel von Margarets Innenleben leuchten durfte, in denen sie Interessen zu verfolgen oder aufzugeben beschloss. Als Teenager hatte Margaret auf Abstand zu ihrer Mutter gehen müssen, um Raum zum Wachsen zu haben. Dorothy wusste nicht um den dominierenden Wesenszug ihrer Tochter: Margaret musste Kontrolle haben, und sie vermochte ihre Mutter nicht zu kontrollieren. Weder in Margarets Teenagerzeit noch in ihren Reifejahren als Ehefrau und Mutter verstand Dorothy das Bedürfnis ihrer Tochter, zu ihr auf Distanz zu gehen, und sie war auch beim zweiten Mal nicht minder gekränkt. Enrique wusste, dass Margaret diese Phasen ihrer Beziehung anders erlebt hatte. Margaret hielt sich für eine gehorsame, gute Tochter und glaubte, die Freundin ihrer Mutter sein zu wollen könne nur dazu führen, dass ihre unterschiedlichen Charaktere heftig aufeinanderprallten, so dass kein freundlicher Umgang mehr möglich wäre.
Nach Margarets Krebsdiagnose hatten sich beide geschworen, dass sie sich in dieser letzten Phase ihrer Beziehung näherstehen wollten. Einige Wochen später rief Margaret Dorothy in einem besonders unpassenden Moment an,um ihr mitzuteilen, sie habe jetzt einen Termin für eine neunstündige Operation, bei der unter anderem ihre Blase entfernt und durch eine künstliche, aus einem Stück ihres Dünndarms gefertigte ersetzt werde. Enrique hörte, wie Margaret mit ihrer Mutter sprach und das Gespräch zu einem Streit über einen medizinisch abwegigen Ratschlag wurde, den Dorothy bei einer ihrer Freundinnen aufgeschnappt hatte. Dorothy verstand in jener Zeit nicht, vermutlich aus Selbstschutz, wie ernst Margarets Krankheit wirklich war, auch wenn man es ihr noch so klar sagte. Daher hatte die Freundin aus Dorothys Darstellung offenbar ein falsches Bild gewonnen. Sie hatte Dorothy erzählt, eine Bekannte von ihr habe Blasenkrebs, der nur oberflächlich sei, und ihr müsse die Blase nicht entfernt werden, also müsse es ja vielleicht bei Margaret auch nicht sein. »Du hörst mir nicht zu, Ma!« Enrique merkte, dass Margarets Stimme lauter wurde. »Deshalb verstehst du nie, was Sache ist. Weil du mir einfach nicht zuhörst! Ich habe Blasenkrebs im dritten Stadium. Das heißt, meine Blase muss entfernt werden. Wenn ich am Leben bleiben will, muss es sein. Es gibt keine Alternative. Ich will nicht mehr drüber reden! Ich muss jetzt Schluss machen.« Und sie legte auf.
Wie schon die wenigen Male zuvor, als Margaret Dorothy gegenüber wütend geworden war, bekam Enrique ein paar Stunden später einen Anruf von Leonard: »Ich weiß nicht, ob du weißt, was vorgefallen ist. Margaret hat heute Morgen ihre Mutter regelrecht fertiggemacht. Dorothy ist tief getroffen. Zu tief getroffen, um mit Margaret drüber zu reden. Und ich bin auch sehr bestürzt. Du weißt ja sicher, wie schwer das alles für Dorothy ist. Natürlich ist Margaret im Moment nicht sie selbst, das verstehe ich ja. Aber sie muss nachsichtig mit ihrer Mutter sein. Ihre Mutter liebt sie und meint es gut. Sie will ja nur helfen, weiter nichts.«
Obwohl er innerlich vor Wut kochte, setzte Enrique zueinem zaghaften Plädoyer für seine Frau an: »Margaret ist diejenige, die Krebs hat, Leonard. Meinst du nicht, dass sie auch diejenige ist, mit der man nachsichtig sein sollte?« Die gestelzte Formulierung machte Enrique klar, wie unsicher er sich in der hochkomplizierten cohenschen Familiendiplomatie fühlte. Solche Stellvertreterverhandlungen gab es bei den Sabases nicht. Er an Margarets Stelle hätte seine Mutter
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