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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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gehen seit zwei Jahren inseinen Gottesdienst, jeden zweiten Freitag und an den hohen Feiertagen. Margaret ist begeistert von ihm. Sie sagt, er ist der erste Rabbi, den sie mag.« Dorothy und Leonard setzten an, ihn darauf hinzuweisen, dass sie das alles bereits wussten, aber Enrique war klar, dass sie es irgendwie vergessen hatten und dachten, er schlüge vor, den Trauergottesdienst in der kleinen Synagoge in der Twelfth Street abzuhalten, wo Margaret immer allein mit den Jungen hingegangen war, als sie noch gesund gewesen war und er sich auf seinen stolzen Atheismus hatte zurückziehen können. Er ließ die beiden gar nicht zu Wort kommen. »Dort hat man absichtlich alles so gelassen, dass es aussieht wie eine etwas heruntergekommene alte Synagoge. Auf eine schicke Art verfallen. Aber das Gebäude ist absolut sicher, es ist sauber, und es bietet Platz genug für eure ganzen Freunde und unsere. Das mit den Parkmöglichkeiten weiß ich nicht. Bestimmt ist irgendwo in der Nähe ein Parkplatz. Jedenfalls will Margaret, dass ihr Trauergottesdienst dort stattfindet. Und sie will noch etwas. Sie möchte nicht in New Jersey begraben werden. Sie will näher an der Stadt sein. Es gibt da einen Friedhof in Brooklyn, der ist zwar denkmalgeschützt, aber ein paar neue Gräber dürfen vergeben werden, und ich habe veranlasst –«
    Das war zu viel für Dorothy. »Sie will nicht bei uns liegen!«, rief sie fast hysterisch mitten in Enriques ruhig vorgetragene Rede hinein. Sie deutete Margarets Wunsch, an einem Ort begraben zu werden, der ihr gefiel, als Zurückweisung ihrer Person. Wie oft hatte Enrique sie schon wegen dieses blinden Flecks anschreien wollen, ihr an den Kopf werfen wollen, dass sie ja keine Ahnung habe, was ihre Tochter alles für sie tat. Er wollte brüllen, dass Dorothy jetzt doch wohl ein Mal versuchen könne, die Welt mit den Augen ihrer Tochter zu sehen. Er war sich sicher, dass er seinen Ärger nicht würde zügeln können, so müde und geladen wieer war. Er wartete, dass der alte Enrique, der wilde, wirre junge Mann, den Margaret damals gerettet hatte, vor Wut toben würde und eine hoffnungslose Situation noch desolater machte.
    Aber da war kein Sturm in seinem Herzen. Er ergriff Dorothys Hände, was er noch nie getan hatte. Sie erschrak und wollte ihre Hände wegziehen, aber er ließ nicht los. Ihre starren Finger und harten Handteller entspannten sich. Er sagte: »Dorothy«, so sanft, als spräche er mit einer traurigen Tochter. Er drückte ihre Hände, und sie erwiderte den Druck, richtete die verängstigten Augen auf ihn. »Dorothy, Margaret liebt dich. Sie will nicht deshalb in Green-Wood begraben werden, weil sie nicht bei euch liegen will, sie will es, weil sie den Friedhof mag. Eine Freundin aus ihrer Krebsgruppe ist dort beerdigt worden, und das hat Margaret damit versöhnt, sie verloren zu haben. Darum geht es und um nichts anderes. Sie muss uns loslassen. Das ist sehr schwer. Sie braucht die Gewissheit, dass alles an ihrem Tod so sein wird, wie sie es will. Sie braucht es, um das Geschehen akzeptieren zu können. Das ist alles, was sie von uns möchte. Green-Wood ist hier in der Nähe, viel näher als New Jersey. Ihr könnt sie dort leicht besuchen.«
    Dorothys blasse Augen nahmen ein dunkleres Blau an, als ob sie ein Rollo hochzöge, um ihn tiefer in sich hineinblicken zu lassen. Enrique hatte das Gefühl – und er fragte sich, ob es ihr auch so ging –, dass sie sich zum ersten Mal wirklich in die Augen sahen. Das war nicht die fordernde Matriarchin, die er hasste, nicht die bourgeoise Schwiegermutter, die ihn nie für vollwertig nehmen würde, nicht die krittelige Mutter, die ihre Tochter nie genug lobte. Er sah ein einsames kleines Mädchen, das sich nach der Anerkennung seiner Eltern sehnte. »Dorothy«, beschwor er sie, so sanft er konnte. »Wir müssen das für sie tun. Es ist alles sehr schwer für uns, für dich wahrscheinlich am allerschwersten, aberlass es uns Margaret so leicht machen wie irgend möglich. Um ihretwillen, okay?«
    »Natürlich«, sagte sie inbrünstig, und ihre ganze Hysterie war verflogen. »Natürlich will ich es ihr erleichtern. Ich bin ihre Mutter. Ich liebe sie. Es bricht mir das Herz«, sagte sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Natürlich werden wir tun, was sie möchte.« Beschämt, weil sie ihren Schmerz zeigte, wollte sie sich die Hände vors Gesicht schlagen, und er ließ sie los. Sie kramte in ihrer Handtasche nach einem Papiertaschentuch. Dabei

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