Glückskekssommer: Roman (German Edition)
die Auswertung der Weissagungen und lese auch meine willig vor.
Sie werden viel Glück haben und Schwierigkeiten überwinden!
Annemarie und Nora stecken direkt die Köpfe zusammen und tuscheln. Meine Hoffnung, dass sie nichts von gestern Abend wissen, schwindet. Vielleicht sind sie auch nur neidisch, weil mir Glück verkündet wurde und ihnen nicht.
Ich kann es heute ja wohl gebrauchen, oder?
Lächerlich! Mir ist vollkommen egal, was dieser blöde Zettel verkündet.
Dann steht die Chefin neben mir. »Wir haben etwas zu besprechen, Rosa«, sagt sie.
Sie redet leise. Dennoch verstummen plötzlich die Gespräche und alle gucken mich an.
Mit einem Schlag ist meine Entspannung schon wieder Geschichte. Sie wissen es. Natürlich wissen sie es. Alle! Und jetzt warten sie darauf, dass die Senner mir, dem kleinen, frechen Schneiderlehrling, der es gewagt hat, einem Filmstar ein Kleid zu schneidern, den Kopf abreißt.
Ich halte mich an meiner Kaffeetasse fest und trotte schleppenden Schrittes neben ihr her. Sie sagt kein Wort, bis wir außer Hörweite der anderen sind. Wenigstens macht sie mich nicht vor Zeugen fertig. Das rechne ich ihr ziemlich hoch an.
»Vor 20 Jahren, da habe ich mein Geschäft aufgemacht. Ich hatte gerade meinen Meisterbrief in der Tasche. Ich war ungefähr so alt wie du jetzt und wollte nur eines: berühmt werden. Ich träumte von Mode, von Kleidern, Blusen, Jacken …, meiner eigenen Kollektion.«
Ich kann ihr gut folgen, denn mir geht es ganz genauso. Und ich habe noch nicht einmal einen Meisterbrief. Warum sie mir das erzählt, verstehe ich jedoch noch nicht. Ich nicke brav und sage lieber gar nichts. Vermutlich will sie auch gar nichts hören.
»Die Jahre vergingen, und ich nähte noch immer Säume um, kürzte Hosen und kümmerte mich um kaputte Reißverschlüsse. Ich merkte, dass ich damit gutes Geld verdienen kann. Mein Geschäft ging immer besser, auch wenn ich fast nur Änderungen machte. Ich konnte weitere Schneiderinnen einstellen, mir einen größeren Laden mieten, ausbilden … Ich war bekannt für die herausragende Qualität meiner Arbeit. Wahrscheinlich kommt dir das albern vor, aber irgendwann war ich richtig stolz auf mich.«
»Das ist nicht albern«, sage ich leise.
Sie redet weiter, als hätte sie mich nicht gehört. »20 junge Mädchen haben bei mir das Schneiderhandwerk gelernt. Sie haben heute alle eine gute Stelle, einige sind eine Weile bei mir geblieben, haben dann den Meister gemacht und führen jetzt ihr eigenes Geschäft.«
»Ich würde auch gern …«, flüstere ich.
»Spar dir deine Worte«, unterbricht mich die Chefin.
Schade! Ich hätte ihr gern gesagt, wie sehr ich meinen Beruf liebe und dass ich weiß, wie viel ich ihr verdanke. Außerdem ist es, trotz gelegentlicher Unstimmigkeiten, schön in unserer Werkstatt. Das Surren der Nähmaschinen, die vielfältigen Stoffe, Garne in tausend Farben; Hosen, Kleider, Mäntel, Jacken – alles, was Menschen kleidet und schöner macht – und mittendrin wir Schneiderinnen, fleißige Arbeiterinnen mit einem ausgeprägten Sinn für Form und Genauigkeit. Helena Senners Atelier ist in den letzten drei Jahren so etwas wie mein zweites Zuhause geworden.
Sie schaut mich an, als wollte sie meine Gedanken lesen. Obwohl sie das gar nicht müsste. Ich würde ihr ohne Umschweife sagen, was ich denke. Aber sie fragt mich nicht. Unruhig überlege ich, was sie von mir will? Wird sie mich jetzt etwa rauswerfen – ein paar Wochen, bevor ich meine Lehre beendet habe?
Gelegentlich trägt der Wind Gekicher und Wortfetzen zu uns herüber. Wie viel lieber wäre ich dort als hier!
»Frau Senner«, setze ich vorsichtig an. »Das Kleid …«
»Du brauchst mir nichts zu erklären«, faucht sie plötzlich. »Dein Verhalten hat mehr gesagt, als es Worte können.«
Was für ein Verhalten? Ich verstehe sie nicht. »Heute hätte in jeder Zeitung gestanden, dass Eva Andrees beim Filmball ein Kleid von Helena Senner getragen hat, nicht wahr?«
»Ja«, sage ich. Ich weiß noch immer nicht, worauf sie hinaus will.
»Egal, wer das Kleid genäht hat, den Ruhm erntet immer die Meisterin.«
»Na ja …«
»Stattdessen musste ich heute Morgen lesen, dass ich eine Pfuscherin bin.«
»Es tut mir leid«, hauche ich. Ich schäme mich in Grund und Boden.
»Ich habe dich durchschaut, mein Fräulein«, sagt sie wütend. Sie fuchtelt mit ihrem Finger vor meinem Gesicht herum. »Du hast dir gedacht, wenn du den Ruhm nicht bekommst, dann
Weitere Kostenlose Bücher