Glückskekssommer: Roman (German Edition)
mag. Denn wenn sie das Parfüm wirklich bekommt, dann werden wir alle etwas davon haben. Annemarie gehört nämlich zu den Menschen, die ihr persönliches Lieblingsparfüm für einen Raumduft halten und deshalb äußerst großzügig aufsprühen. Seit ich bei Helena Senner arbeite, benutze ich mein Laura Biagiotti nur noch am Wochenende. An den Arbeitstagen kommt es wegen Annemaries Duftschwaden sowieso nicht zur Geltung.
Davon abgesehen habe ich meine Zweifel am glückskeksinduzierten Optimismus meiner Kollegin. Achim ist ihr langjähriger Ehemann. Er holt sie manchmal von der Arbeit ab. So wie ich ihn einschätze, weiß er nicht mal, wo man Parfüm überhaupt kaufen kann, geschweige denn das Neue von Jil Sääänder. Da hilft auch der Zettel aus dem Glückskeks nicht.
»Vielleicht solltest du ihm einfach sagen, dass du es haben willst. Wäre das nicht Erfolg versprechender?«
Diese an sich logische Überlegung trägt mir einen giftigen Blick von Annemarie und ein Kopfschütteln der anderen ein. Zuerst vermute ich, dass sie sich einen Spaß mit mir erlauben, doch dann wird mir klar, dass sie es wirklich ernst meinen.
»So einfach ist das Leben nicht«, deklamiert Annemarie. »Wenn du älter wärst, würdest du das wissen.«
Ich bin zwar auch schon 27, aber es macht mir nichts aus, als Küken behandelt zu werden. Ist doch schön, die Jüngste zu sein. Zumal sich die Älteren gerade wie Kleinkinder benehmen. Also wirklich! Wer Glückskeksorakel für die Wahrheit hält, kann genauso gut glauben, dass Hasen zu Ostern Eier bemalen.
Aber da wir eine solche Diskussion nicht zum ersten Mal führen, begreife ich langsam, dass ich die Einzige bin, die so denkt. Der Rest der Welt scheint davon überzeugt, dass Zettel in Keksen, Linien auf der Hand, ein rückläufiger Merkur und die Sonne im 9. Haus (… was auch immer das sein mag!) mehr Einfluss auf das Leben haben als der gesunde Menschenverstand.
Jolanta, unsere älteste Kollegin, die in Polen geboren ist und einer seltsamen Mischung aus Aberglauben und Heiligenverehrung anhängt, hat zu dem Thema natürlich auch etwas beizutragen.
»Meine Großmutter immer so gesprochen hat: ›Jola! Du kannst deinem Schicksal nicht entgehen‹«, sagt sie mit dunkler Stimme. »Und alles, was dir wird passieren, das steht geschrieben da oben in die große Schicksalsbuch.«
Fünf Frauen an einem sonnigen Juni-Tag im 21. Jahrhundert folgen brav mit ihren Augen Jolas himmelwärts ausgestrecktem Zeigefinger.
Ich sehe kein Buch, nirgends. Aber die andächtige Stille im Raum lässt mich Böses ahnen. Bin ich mal wieder die Einzige, der das Übersinnliche verschlossen bleibt, die das große Schicksalsbuch nicht spüren, geschweige denn sehen kann?
Ich verstehe es nicht. Da hat die Menschheit Computer, Flugzeuge und Antibiotika erfunden und steht mit einem Bein noch immer im tiefsten Mittelalter. Nur Jolanta zuliebe verkneife ich mir, mit dem Finger an die Stirn zu tippen, denn ich mag sie. Sie hat mir oft geholfen und so manchen Schneidertrick beigebracht, als ich noch ziemlich unerfahren war.
»Mir hat eine Zigeunerin aus der Hand gelesen, als ich 13 war«, steuert nun auch noch Nora erwartungsgemäß bei. »Und bis jetzt ist alles eingetreten. Alles! «
»Das ist doch Zufall«, protestiere ich. Obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist, muss ich meine Meinung jetzt doch loswerden. »Die formulieren das so allgemein, dass es mit ein bisschen guten Willen auf jeden zutrifft.«
»Du bist ganz schön eingebildet, wenn du glaubst, dass du über dein Leben allein entscheiden kannst«, schimpft Annemarie.
Das tue ich in der Tat und habe es eigentlich bis eben für ganz normal gehalten. Ich zucke die Schultern. Sollen sie glauben, woran sie wollen.
»Das hat doch nichts mit Einbildung zu tun«, sage ich matt und winke ab. »Ich werde jedenfalls nicht glauben, dass mein Leben in einem Keks geschrieben steht.«
Ich hoffe, dass das Thema nun beendet ist. Doch da habe ich mich getäuscht.
»Warte nur ab, bis sich dein Schicksal erfüllt!«, droht Annemarie. »Du wirst schon sehen.«
Die Zukunft scheint in ihren Augen etwas ziemlich Gefährliches zu sein.
Kein Wunder, dass Propheten (siehe Bibel) und Seherinnen (siehe griechische Sagen) früher so unbeliebt waren. Wenn die auch so geschwollen dahergeredet haben …
Ob ich will oder nicht, ich kriege eine Gänsehaut. Im Stillen beschließe ich, Omas Glückskekse ab sofort selbst zu essen. Auf gruselige Prophezeiungen von Hobby-Prophetin
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