Glückskekssommer: Roman (German Edition)
wanderte nun in Lilas Keller.
Ich überlegte, ob ich mich in Berlin für Germanistik einschreiben sollte. Meine Eltern waren sauer und drohten mit Geld- und Liebesentzug. Sogar Oma schüttelte den Kopf. »Du bist eine typische Ratte. Die sind schnell begeistert, aber haben kein Durchhaltevermögen.«
Ich fand mein chinesisches Sternzeichen nicht gerade schmeichelhaft. Eine Ratte, also wirklich! Meinetwegen konnten die Chinesen gern glauben, dass alle im gleichen Jahr wie ich Geborenen als Charakterklone durch die Welt liefen. Aber ohne mich!
Das war ja noch unglaubwürdiger als die Skorpione, Krebse, Waagen und was nicht alles in den hierzulande beliebten Sternzeichen, die aber wenigstens monatlich, nicht nur einmal im Jahr, wechselten. Ob nun Ratte oder Fisch, für mich hatte dieser Unfug keine Gültigkeit.
Aber das sagte ich Oma nicht, denn ich wollte sie nicht verletzen.
Die Erlösung für uns alle kam, als ich an einem Seidenmalworkshop in der Volkshochschule teilnahm und merkte, dass Stoffe es mir angetan hatten. Es war wie eine Erleuchtung. Endlich wusste ich, was ich wollte: nähen und Kleider entwerfen!
Ein paar Monate lang fütterte Lila statt Micha nun mich durch. Aber dann hatte ich eine Lehrstelle gefunden. Als das zweite Lehrmädchen nach einer Woche absprang, überredete ich Lila, sich zu bewerben. Da ihr der Verkäuferinnenjob keinen Spaß mehr machte, stellte sie sich auch bei Helena Senner vor und wurde angenommen.
Von da an waren wir wieder vereint, lernten gemeinsam Damenmaßschneiderin und weil es so praktisch und für uns beide billiger war, blieb ich gleich in Lilas Wohnung. Obwohl Lila geduldig wartete … Micha ließ sich nie wieder blicken. An manchen Tagen war sie furchtbar traurig deswegen.
Rob kommt in die Küche und drückt mir ein Küsschen auf die Wange.
»Hier riecht es irgendwie gut. Was gibt es denn?«
»Eine Preisverleihung mit meinem Kleid«, sage ich etwas spitz. Essen ist doch nun wirklich zweitrangig heute.
»Ich hab was für dich«, sagt er. Er zwinkert mir schelmisch zu. »Ich wollte es dir erst geben, wenn du den Gesellenbrief hast, aber heute passt es besser … irgendwie.«
Rob ist so ein Schatz. Ich strahle ihn an. Natürlich hat er an meinen großen Tag gedacht. Er drückt mir ein kleines in Seidenpapier eingewickeltes Päckchen in die Hand.
»Darf ich es schon aufmachen?«
Vor Freude vergesse ich, dass gleich die Übertragung losgeht, bis Lila schrill aus meinem Zimmer schreit.
»Rosa, komm schnell. Da ist sie!«
Ich lasse Robs Geschenk auf dem Küchentisch liegen und sause zum Fernseher. Mein Freund hinterher. Tatsächlich. Gerade zeigen sie Bilder vom Gang der Stars über den roten Teppich. Und da läuft Eva Andrees!
»Oh, mein Gott, sie hat es an«, stöhnt Lila. »Sie hat es wirklich angezogen.«
Ich lasse mich schwer atmend auf meine Couch fallen. Ja, auch ich habe mich gefragt, ob die Diva sich im letzten Moment nicht doch für ein anderes Kleid entscheiden würde. Sie hat es nicht getan!
Rob schlingt seine starken Arme um mich. Lila hält meine Hand. Eva Andrees sieht unglaublich gut aus. Ich bin so stolz und froh und glücklich. Dieser Abend ist das Beste, was mir je passiert ist. Einfach perfekt!
Während die Stars ihre Preise entgegennehmen, lümmeln wir auf der Couch, lassen uns die Hühnerkeulen schmecken und trinken Rosésekt dazu. Den Wackelpudding essen wir zu dritt aus der großen Schüssel und machen uns einen Spaß daraus, einander den glibberigen Nachtisch vom Löffel zu schubsen.
Lila führt eine Strichliste, wie oft Eva Andrees eingeblendet wird. Es ist ziemlich oft. Zwar sieht man jetzt mein Kleid nicht so gut, aber das ist egal.
Wir werden erst wieder ernst, als der Preis für das Lebenswerk angekündigt wird, einer der wenigen, bei dem die Preisträgerin schon vorher bekannt war.
»Eva Andrees hat in über 50 Filmen mitgespielt und dabei gezeigt, dass sie eine großartige, wandelbare Mimin ist, die in ihren Rollen zu überzeugen weiß.«
Gerührt höre ich der Laudatio zu.
Ich habe viele Filme mit der Andrees gesehen. Besonders gut gefällt sie mir in ihrer neuesten Rolle, einer Kommissarin. Als KHK Anna Schweizer muss sie nicht nur Verbrechen aufklären, sondern sich auch um ihren minderjährigen Enkel kümmern, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht. Sie spielt das ebenso tough wie verletzlich, sodass sie schon allein dafür einen Preis verdient hätte.
Lila guckt zu mir rüber (Rob sitzt in unserer Mitte) und
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