Glückskekssommer: Roman (German Edition)
haben wir die vielen Punkte auf der Haut geerbt, aber auch die Haare, die nordisch hellblond sind – ganz ohne Färben.
Unsere Mamas waren von klein auf beste Freundinnen und beschlossen schon im Kindergarten, sich niemals zu trennen. Eigentlich vergisst man ja seine Kinderträume im Laufe der Zeit. (Also ich kann mich jedenfalls an keinen mehr erinnern.) Aber nicht so Simone und Susanne, unsere Mütter. Die haben wirklich Wort gehalten.
Sie drückten zusammen zehn Jahre die Schulbank, lernten gemeinsam Krankenschwester und arbeiteten anschließend im gleichen Krankenhaus auf der Kinderstation, vermutlich auch in der gleichen Schicht, aber das habe ich nicht so genau überprüft. Als sich meine Mutter dann in Thomas Redlich verliebte, den sie beim Baden kennengelernt hatte, während Susanne mit ihren Eltern im Urlaub war, drohte die Harmonie unter den Freundinnen zum ersten Mal zu leiden. Bis sich herausstellte, dass Thomas einen Zwillingsbruder hatte, Thorsten, der noch nicht vergeben war. Ein Jahr später läuteten die Hochzeitsglocken. Und da anscheinend auch die beiden Brüder beschlossen hatten, zusammen alt zu werden, war kurz darauf ein riesiges Doppelhaus für beide Familien im Bau.
Zum großen Glück von Simone und Susanne Redlich fehlten nur noch Kinder. Keine Ahnung, wie sie das geschafft haben, aber wir beide kamen genau am gleichen Tag zur Welt – ich als Rosa, sie als Lila Redlich. (Ich hätte vielleicht andere Vornamen gewählt. Aber a) wurde ich nicht gefragt, b) bin ich froh, dass wir nicht Hanni und Nanni heißen und c) ist Rosa eigentlich ein ganz hübscher Name.) Meine Cousine war vom ersten Tag an wie meine Schwester, nein, noch viel besser, wie die allerbeste und treueste Freundin der Welt. Wir traten nur im Doppelpack auf und stritten uns nie. Natürlich trugen wir dieselben Kleider, besuchten die gleiche Dorfschulklasse und quälten uns gemeinsam durch das Abitur. (Wobei meins deutlich besser ausfiel, aber das tut nichts zur Sache.)
Und jetzt sollte ein blöder Arbeitsvertrag uns trennen?
»Wir können doch beide eine neue Arbeit suchen«, sage ich und seufze.
»Spinnst du?«, antwortet Lila und schüttelt energisch den Kopf. »Sei doch froh, dass du so eine gute Stelle hast. Ich finde schon was. So schlecht bin ich ja nun auch wieder nicht.«
»Du bist die Beste«, sage ich und meine es im doppelten Sinn.
Ich habe solch ein Glück mit meiner Lila!
»Wenn ihr fertig seid mit der Liebeserklärung, geht Rosa mal neues Nähgarn holen.«
Schon die Stimme der Chefin lässt normalerweise keinen Widerspruch zu, schon gar nicht ihr energisches Auftreten. (Wenn ich mal Chefin bin, versetze ich meine Lehrmädchen jedenfalls nicht in Angst und Schrecken.) Aber heute versuche ich es trotzdem.
»Frau Senner?«, hauche ich. »Gleich kommt doch die Eva Andrees und holt das Kleid und da wollte ich …«
»Trinkgeld oder wie?«
»Nein … Ich … Ich will kein Geld. Ich wollte es ihr nur selber geben … Ich meine, weil ich doch …«
Annemarie hört auf zu arbeiten und grinst hämisch zu mir rüber.
»Sie wollte noch ein bisschen angeben«, ergänzt Nora die unausgesprochenen Gedanken ihrer Spießgesellin.
Die beiden sind auch wie Zwillinge, aber von der bösen Art – solche, die im Märchen am Ende immer klebriges, schwarzes Pech auf den Kopf kriegen.
Das ewige Ätzen der ›Pechmaries‹ raubt mir den letzten Nerv. Ich fange beinahe an zu weinen. Leider bin ich eine Heulsuse. Das ist nervig, denn eigentlich bin ich im Moment gar nicht traurig, sondern sauer. Aber ich habe das nicht im Griff. Meine Tränen führen ein reges Eigenleben und interessieren sich nicht die Bohne dafür, ob ihr Erscheinen gerade passend ist oder nicht. Wieder mal haben sie keine Ahnung, dass sie bei Wut völlig unangebracht, ja sogar peinlich sind. Ich schicke meinen beiden Kolleginnen einen vernichtenden Blick (jedenfalls hoffe ich, dass es so aussieht) und … gebe nach.
»Ich gehe ja schon.«
»Wir sind in der Mittagspause, wenn du zurückkommst. Kannst nachkommen.«
Ich bekomme einen riesigen Schreck. Was, wenn die Andrees ins Atelier kommt und keiner ist da?
Wir gehen nämlich in der Pause immer geschlossen in die naheliegende Betriebskantine, weil da das Essen gut und günstig ist. Machen die das mit Absicht, um mich zu quälen?
Lila, der wunderbare Engel, sieht meinen verzweifelten Blick und rettet mich.
»Frau Senner, ich gehe lieber nicht mit in die Mittagspause. Ich habe nämlich
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