Glücksregeln für den Alltag
dieser komplexen Welt glücklich leben kann, zu vertiefen. Und nicht nur ich hatte diese Fragen. Seit der Veröffentlichung unseres Buches hatte ich erlebt, dass viele Menschen - Freunde und Unbekannte - auf Fehlendes hinwiesen und Fragen und Themen aufwarfen, die wir in unserem Buch nicht berücksichtigt hatten. Die Fragen waren fast immer mit der Bitte verbunden, ich möge den Dalai Lama doch einmal um entsprechende Antworten bitten. Viele solcher Gespräche begannen mit den Worten: „Howard, wenn du je wieder die Gelegenheit hast, mit dem Dalai Lama zu reden, könntest du ihn dann bitte fragen, was er...“ So dauerte es nicht lange, bis der Gedanke, ein zweites Buch zu schreiben, Gestalt annahm.
Natürlich gab es ein schwer wiegendes Hemmnis bei der Planung eines weiteren Buches: Da inzwischen einige Jahre vergangen waren und der Dalai Lama in der Welt an Bedeutung gewonnen hatte, war sein Terminkalender immer voller geworden. Es war zu befürchten, dass er ganz einfach keine Zeit oder wichtigere Dinge zu tun hatte. Ich fürchtete eine Absage. Doch ich kannte auch seine Achillesferse, seinen heimlichen Schwachpunkt, den ich schamlos auszunutzen gedachte: seinen aufrichtigen Wunsch, anderen zu dienen. Unter den Menschen, die dem Dalai Lama nahe stehen, ist wohl bekannt, dass es ihm sehr schwer fällt, zu einem Projekt nein zu sagen, wenn er das Gefühl hat, es könne für das Wohlergehen anderer Menschen wichtig sein. Als ich ihm mein Anliegen vortrug, wusste ich also: Wenn alles andere fehlschlagen sollte, wäre er immer noch empfänglich für inständiges Bitten und Jammern.
Zum Glück musste ich jedoch nicht zu diesem äußersten Mittel greifen. Sobald er einmal davon überzeugt war, dass unsere Zusammenkünfte auch für andere hilfreich sein würden, erklärte er sich einverstanden, und so trafen wir uns erneut in seinem Haus in Dharamsala und begannen an der Fortsetzung von Die Regeln des Glücks zu arbeiten.
U nser erstes Buch hatte ganz allgemein die innere Entwicklung des Menschen zum Schwerpunkt gehabt. Aber - wie viele Leser bemerkten - wir leben nicht in einem Vakuum. Wir leben in der Welt, interagieren mit der Gesellschaft, und die Gesellschaft, in der wir leben, kann sehr wohl einen Einfluss auf den Einzelnen haben. Also begannen wir damit, zunächst eine Liste der Themen zusammenzustellen, die wir in unserem ersten Buch ausgelassen hatten. Dabei wurde deutlich, dass wir in unserem ersten Buch eingehende Diskussionen über Probleme in der Gesellschaft vermieden hatten. Dafür gab es einen Grund: Wie ich in unserem ersten Buch erklärt habe, beschränkte sich mein Interessengebiet
- sowohl aufgrund meiner Neigung als auch aufgrund meiner Ausbildung zum Psychiater - darauf, herauszufinden, wie der Geist, die menschliche Psyche arbeitet. Ich war immer fasziniert von der inneren Dynamik der Psyche, etwa davon, wie destruktive Emotionen entstehen und sich im Leben manifestieren. Diskussionen über umfassendere Probleme in der Gesellschaft interessierten mich weniger. Und außerdem kamen mir die zahllosen gesellschaftlichen Probleme so riesig, so überwältigend, so entmutigend vor, dass meine Reaktion darin bestanden hatte, sie zu verdrängen. Leugnung - der altbewährte Abwehrmechanismus, ein beliebtes Mittel. Ich arbeite zwar nicht mehr als Psychotherapeut, doch ich kann mich gut an Sitzungen erinnern, in denen Patienten über ihre beruflichen Sorgen, über Geldprobleme, über das Leben in einer von Gewalt geprägten Welt zu sprechen begannen, woraufhin meine Gedanken sogleich abschweiften. Nicht, dass ich diese Probleme nicht als berechtigte Ursachen für das Leiden des jeweiligen Patienten angesehen hätte, aber diese Dinge schienen so unlösbar zu sein, dass ich mich ganz einfach hilflos fühlte. Sobald meine Patienten also anfingen, über so etwas zu sprechen, bekam ich einen glasigen Blick, als legte sich eine Art unsichtbarer Film über meinen Geist. Ich tröstete mich damit, dass ich, da ich nichts an diesen Problemen ändern konnte, auch keine Möglichkeit hatte, Abhilfe zu schaffen. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich leicht irritiert, ja ungehalten wurde, wenn Patienten diese Dinge in der Therapie zur Sprache brachten. Das ist doch nicht meine Sache, war meine stumme Reaktion. Konnten sie das nicht begreifen?
In den Diskussionen, die zu unserem ersten Buch führten, hatte der Dalai Lama oft globale Fragen und Probleme der Gesellschaft zur Sprache gebracht. Aber es war mir immer
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