Glut der Gefuehle - Roman
Ton.
»Verdammt!« Ein Bischof schlug mit der Hand auf den Tisch. »Sagtest du nicht, du würdest die Prüfungsfragen beschaffen?«
»Ja. Und das tat ich.« Ungerührt sprach Matthew weiter, und die Mitglieder des Tribunals starrten ihn entgeistert an. »Vielleicht werden euch meine nächsten Ausführungen helfen, das alles besser zu verstehen. Die wichtigsten
Ereignisse in Henrys Ära waren die Erforschung der amerikanischen Küsten durch die Spanier und Portugiesen, die Ernennung Thomas von Aquins zum Erzbischof von York, die Exkommunikation Martin Luthers 1520 durch Papst Leo X. und im folgenden Jahr die Verleihung des Titels ›Verteidiger des Glaubens‹ an Henry für die ›Assertio septem sacramentorum‹, die Verteidigung der sieben Sakramente gegen Luther...« Während Matthew über den letzten Punkt nachdachte, verhallte seine Stimme. »Darin liegt eine köstliche historische Ironie, die unser Rektor nicht zu würdigen weiß.« Der Reihe nach musterte er Lord Barlough und die anderen Bischöfe. »Dieses Publikum ebenso wenig, wie ich sehe|...« Diesmal zuckte er tatsächlich die Achseln, nicht nur in Gedanken. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich muss noch die Entmachtung Kardinal Wolseys und die Ernennung Sir Thomas Mores zum Lordkanzler 1529 hinzufügen. Oft genug frage ich mich, ob er es bereute, diese Position übernommen zu haben... Aber ich schweife schon wieder ab. So ist Geschichte nun einmal. Findet ihr nicht auch? So viele Abweichungen und Konvergenzen, dass man manchmal die einzelnen Glieder studiert und die Gesamtheit der Kette vergisst...«
Langsam sank der Erzbischof auf seinen Stuhl zurück. Matthew hatte ihm offensichtlich allen Wind aus den Segeln genommen. »Das hast du auswendig gelernt«, bemerkte er ungläubig. »Die Antworten auf die Prüfungsfragen!«
»Nein, nur die Fragen. Die Antworten stammen von mir.«
In Lord Barloughs Gesicht erschienen hektische rote Flecken. »Packt ihn!«
Aber die Mitglieder des Tribunals saßen auf der anderen
Seite des Tisches, und Matthew hatte seine Flucht bereits geplant, bevor er in diesen Raum gebracht worden war. Er sprang auf, versetzte dem Tisch einen vehementen Stoß, wobei es ihm gelang, zwei Bischöfe von den Stühlen zu schubsen und ein halbes Dutzend brennende Kerzen umzuwerfen.
»Haltet ihn auf!«, schrie der Erzbischof.
Doch da riss Southerton bereits die Tür auf und prallte gegen den Rektor.
» Hier bist du also«, sagte Mr Glasser in mildem Ton und musterte Matthews gerötetes Gesicht. Den Tumult hinter dem Jungen beachtete er nicht. Er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass weder die Schule noch die Bischöfe in Flammen aufgehen würden. Letzteres bedauerte er sogar ein wenig. »Ich wollte nur feststellen, wie die Sitzung verläuft«, erklärte er und berührte die schmale Schulter des Viscounts. »Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob du diese Burschen über die Prüfungsfragen informieren würdest – ich kenne ihre Überredungskünste.« Nun warf er einen kühlen Blick auf das Tribunal. »Ein kleiner Unfall?« Lediglich Lord Barlough war geistesgegenwärtig genug, um den Rektor nicht erschrocken anzustarren. »Lasst euch nicht stören. Macht nur weiter. Was ich vor der Tür hörte, war hochinteressant.«
Während Mr Glasser eintrat, rappelten sich die gestürzten Bischöfe auf und wischten geschmolzenes Wachs von ihren Händen.
Dann drehte er sich zu den Schülern um, die im feuchtkalten Korridor standen. »Herein mit euch! Seid nicht so schüchtern. Hier drin ist Platz für euch alle.«
Die beiden ersten, die der Aufforderung nachkamen, waren Wachposten des Tribunals. Zögernd betraten sie den Raum, die Köpfe gesenkt, um dem Zorn in den Augen
des Erzbischofs zu entrinnen. Genauso widerstrebend folgten ihnen Gabriel Whitney, Evan Marchman und Brendan Hampton – East, West und North genannt – und die anderen Schüler.
»Zu wenig Stühle?« Freundlich lächelnd schaute sich Mr Glasser um und schloss die Tür. »Nun, das macht nichts. Einige Jungs sollen sich auf den Tisch setzen.«
Auf dem Weg zu seinem Stuhl hielt Matthew inne und wandte sich höflich an den Rektor. »Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten, Sir?«
»Nicht nötig, ich bleibe hier.« An die Tür gelehnt, vereitelte Mr Glasser effektvoll jeden etwaigen Fluchtversuch. »Es fasziniert mich, dass sich so viele Schüler außerhalb des Klassenzimmers für Geschichte begeistern. Aber ich glaube, diese feuchten, schimmeligen Mauern fördern das
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