Glut der Gefuehle - Roman
Forelle nannten – witzelten
niemals über ›Canterbanter‹, wenn die Gefahr bestand, man würde sie belauschen. Überall konnten Spione lauern.
Seit Hambrick Hall gegründet worden war, existierte der Orden der Bishops. Nur die Eingeweihten kannten den Ursprung der Organisation. Innerhalb des Ordens wurden die historischen Fakten von Erzbischof zu Erzbischof mündlich weitergegeben – eine zweihundert Jahre alte Tradition. Für dieses Ritual hatte der erste Erzbischof einen ganz bestimmten, würdevollen Wortlaut ersonnen.
Matthew Southerton war nie besonders neugierig auf die Anfänge des Ordens oder diesen Verein selbst gewesen. Vor drei Jahren hatte sein erstes Semester an der Schule begonnen. Noch bevor er seine Truhe ausgepackt hatte, hörte er von den Bischöfen und vergaß sie jedoch bald wieder. Wann das Abendessen serviert wurde, interessierte ihn viel mehr. Als ein eher unauffälliger Schüler, entging er der Aufmerksamkeit des Klubs. Das hatte sich am Ende des letzten Semesters mit Mr Marchmans Ankunft geändert.
Die Ferien hatten die aggressive Stimmung des Ordens nicht gemäßigt. Wie Matthew befürchtete, hatten die Bischöfe diese Zeit fern von Hambrick Hall – während er geschwommen, gesegelt und mit seinen astronomischen Studien beschäftigt gewesen war – eifrig genutzt, um einen Plan zu schmieden, wie sie Marchman verunglimpfen konnten. Offenbar wollten sie erreichen, dass er der Schule verwiesen wurde.
Nur selten verhängten die Bischöfe milde Strafen. Eigentlich sprachen sie überhaupt keine aus. Dazu veranlassten sie andere Leute.
Während der Erzbischof Matthew betrachtete, nahm seine Miene beinahe freundliche Züge an. »Neulich hörte
ich, wie einige Jungen ›South‹ zu dir sagten, Forelle. Eine Abkürzung deines Namens?«
»Ja, Exzellenz.«
»Und diese anderen Burschen? North. East. West. Das alles verstehe ich leider nicht.«
In Gedanken zuckte Matthew die Achseln und schwieg.
»Ihr nennt euch Kompass Klub, nicht wahr?«
Aus dem Mund des Erzbischofs hörte sich die Bezeichnung ziemlich kindisch an. Aber in Matthews kleinem Kreis wurde niemand mit ›Exzellenz‹ angeredet. Gewiss, manchmal nannten sie East ›Hoheit‹. Doch das war nett gemeint. Und dass sie noch sehr jung waren, ließ sich nun einmal nicht leugnen. »Ja, Exzellenz«, bestätigte er, »der Kompass Klub.«
Beinahe hätte er hinzugefügt: Die Todfeinde der Bishops. Das wäre allerdings zu dramatisch gewesen. Zudem würde er seine Trümpfe verfrüht ausspielen und verlieren. Dazu kamen noch die Schwierigkeiten, die ihm seine Stimme neuerdings bereitete. So bedeutungsvolle Worte wie die ›Todfeinde der Bishops‹ müssten niederschmetternd klingen. Wenn ihn seine Stimmbänder im Stich lie ßen, wie so oft in letzter Zeit, würde er bloß einen albernen, quietschenden Laut hervorbringen.
»Also gut, Forelle.« Lord Barlough räusperte sich. »Fühlst du dich dem Kompass Klub eng verbunden? Oder würdest du dich von diesem Verein lossagen und den Bishops unwandelbare Treue schwören?«
»Dazu würde ich mich entschließen, Exzellenz«, erwiderte Matthew ernsthaft und feierlich.
Nun lächelte der Erzbischof wieder, wobei sich sein hübsches Gesicht kaum verzog. »Gut. Dann musst du uns geben, was du versprochen hast.«
Natürlich erwähnte er nicht, wie man dem Viscount dieses Versprechen abgerungen hatte – nämlich mit der Drohung, seine besten Freunde würden in Lebensgefahr geraten, wenn er sich widerspenstig zeigte. Dass Lord Barlough diesen Punkt ignorierte, überraschte Matthew nicht. Es hätte ihn sogar gewundert, wenn der Erzbischof auf die Methoden seiner Brüder eingegangen wäre. »Ja, ich habe es parat, Exzellenz.«
Ein Raunen ging um den Tisch herum. Als Matthew von den Fesseln befreit worden war, hatte Lord Barlough seine Kleidung gründlich durchsucht und nichts gefunden.
»Gib es uns.«
»Sehr gern, Exzellenz.« Bedächtig begann Matthew zu deklamieren: »Während der Regentschaft von Henry VIII., die von 1509 bis 1547 dauerte, kam es zu zahlreichen Veränderungen, vor allem, was die Rolle der katholischen Kirche in der Politik, der Rechtspflege und diversen Allianzen betraf. Als Henry den Thron bestieg, zog die Wahl seiner Braut – sie war die Witwe seines Bruders – Konsequenzen nach sich, deren Tragweite man damals noch nicht...« Abrupt verstummte er, weil der Erzbischof aufsprang.
»Zum Teufel, was soll das?«
»Was von mir verlangt wurde«, entgegnete Matthew in ruhigem
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