Glut der Gefuehle - Roman
historische Bewusstsein. Nun solltest du fortfahren, Lord Southerton. Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du gerade über die heimliche Hochzeit des Königs mit Anne Boleyn referieren.«
»Nachdem Thomas Cranmer zum Erzbischof von Canterbury ernannt worden war|...« Mit einem flehenden Blick entschuldigte sich Matthew bei seinen Freunden für das Drama, das er inszeniert hatte, las jedoch unverhohlene Belustigung in ihren Augen und wusste, dass sie ihm verziehen. »... wurde Henrys Ehe mit Catherine von Aragon|...«
Allmählich erwärmte er sich für sein Thema. Wie sehr er solche Abenteuer liebte!
Erstes Kapitel
September, 1818
In der Privatloge erklang herzhaftes Gelächter. Sie wartete, bis es verebbte, dann sprach sie weiter.
Noch bevor sie den nächsten Satz beendete, drang eine neue Lachsalve zu ihr, aus derselben Loge. Verdammt... Versuchte man absichtlich, ihre Darbietung zu stören?
Sie verstummte wieder und starrte über die Öllampen hinweg in die Richtung des Ärgernisses. Auf der kleinen Drury-Lane-Bühne standen vier andere Schauspieler und folgten dem Blick ihrer Kollegin. Das Publikum, großteils männlich, wandte sich ebenfalls zu der Privatloge. Wer darin saß, wussten die Zuschauer im Gegensatz zur Hauptdarstellerin – nämlich der Marquess von Eastlyn und seine Freunde.
Zwischen den Kulissen ertönte eine laute Stimme. »Du kannst nicht erwarten, dass ich dich immer retten werde, Hortense|...«
»Danke, ich kenne den Text«, unterbrach sie den Souffleur. »Aber ich weiß nicht, ob man mir erlauben wird fortzufahren.«
»Jetzt hast du’s geschafft, East. Ich glaube, sie redet mit uns.« Der Earl von Northam zeigte auf die Bühne, wo Miss India Parr die Fäuste in den üppigen Falten ihres Kostüms verbarg und die Ellbogen nach außen streckte – die bemalten Lippen zusammengepresst, die dunklen Brauen so weit nach oben gezogen, dass sie beinahe unter
den Ringellöckchen der gepuderten Perücke verschwanden. Diese übertriebene Demonstration zorniger Ungeduld hätte komisch gewirkt, hätte sie sich nicht so unmissverständlich gegen die Personen der Loge gerichtet.
»Ach, wirklich?« Der Marquess von Eastlyn neigte sich vor, betrachtete die Gestalt im Rampenlicht und erweckte den überzeugenden Anschein, die Unterbrechung würde ihn maßlos verblüffen. Seine wohlklingende Stimme erhoben, fragte er: »Müsste sie nicht ihren Text sprechen?«
»Eigentlich schon«, antwortete Evan Marchman, der neben East saß. »Du kannst nicht erwarten, dass ich dich immer retten werde, Hortense...«
Für diesen Versuch, dem Gedächtnis der Schauspielerin auf die Sprünge zu helfen, belohnte ihn das Publikum mit anerkennendem Kichern. Alle schauten ihn an – alle außer South, der Miss Parr beobachtete und ihr anmerkte, dass sie jeden Moment die Fassung verlieren würde.
Langsam stand er auf, denn er fühlte sich verpflichtet, die Situation zu retten. Immerhin war es sein unflätiger Scherz gewesen, der die Freunde zu schallendem Gelächter animiert hatte. Er beugte sich vor und schnitt eine Grimasse, als er die Finger spürte, die seine Rockschöße umklammerten. Glaubte Northam, der hinter ihm saß, allen Ernstes, er würde über die Logenbrüstung fallen? Geradezu absurd... Sogar im Halbschlaf könnte er an der Takelage eines Schiffs emporklettern, selbst bei hohen, von einem heftigen Sturm gepeitschten Nordseewellen. Mit klarer Stimme deklamierte er: »Du kannst nicht erwarten, dass ich dich immer retten werde, Hortense...«
Die Augen der Schauspielerin verengten sich. Dann trat sie vor und hob eine Hand, um das Rampenlicht zu verdecken und die Gentlemen in der Loge besser zu sehen.
»Vielen Dank, Mylord. Offenbar kennen Sie das Stück. Soll ich jetzt weiterspielen? Oder möchten Sie meine Rolle übernehmen?«
Nun hatte sie ihre Nerven offensichtlich wieder unter Kontrolle und schien sogar gewillt, ihm tatsächlich das Feld zu überlassen. Dieses Angebot würde er ablehnen. »Verzeihen Sie mir.« Zerknirscht verneigte er sich, erst vor ihr, dann vor dem Publikum. »Bitte, fahren Sie fort.«
Miss Parr nickte, kehrte in den Lichtkegel zurück und nahm erneut die Pose ein, die ihre Rolle verlangte. Bei dieser Verwandlung, die auf fast magische Weise erfolgte, wirkte sie so überzeugend und professionell, dass sie donnernden Applaus erntete. Im Hintergrund des Zuschauerraums, wo es nur Stehplätze gab, trampelten die Männer und jubelten lauthals. Auch in der Loge des Marquess’ von
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