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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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diesen für die Ewigkeit ausgesucht? Gewiss nicht!«
    »Warum hast du es dann getan?« Als ob er die Antwort nicht wüsste!
    »Jetzt enttäuschst du mich aber wirklich, alter Freund«, sagte Frederic, nun mit einer schmollenden Kinderstimme und dem dazu passenden Gesichtsausdruck. »Es war nicht leicht, einen Jungen wie diesen zu finden. Aber am Ende ist es mir gelungen, oder? Die Ähnlichkeit ist verblüffend, meine ich.« Andrej sagte nichts mehr darauf. Es war sinnlos. Jedes einzelne Wort, das Frederic/Dracul oder wer auch immer in Wahrheit vor ihm stand, sagte, diente nur dem einen Zweck, ihn weiterzuquälen. Der bedauernswerte Junge, in dessen gestohlenes Gesicht er blickte, war nichts als ein weiteres Opfer in einer vermutlich endlosen Reihe. Nur ein weiteres sinnlos ausgelöschtes Leben, das noch nicht einmal wirklich begonnen hatte.
    »All diese Toten«, sagte er schließlich doch. »Warum? Was habe ich dir angetan, Frederic?«
    »Du hast mich im Stich gelassen, Unsterblicher«, antwortete der Junge. »Vielleicht war ich nicht so gut, wie du es dir g e wünscht hättest, Andrej. Vielleicht war ich nicht der Sohn, den du in mir gesehen hast, und vielleicht waren deine Zweifel b e rechtigt. Aber ich war damals ein Kind - trotz allem. Ich habe dir vertraut, und du hast mich im Stich gelassen. Als ich dich am meisten gebraucht hätte, warst du nicht da. In all den Jahren, die seither vergangen sind, konnte ich an nichts anderes denken als daran, dich dafür bezahlen zu lassen. Drei Jahrhunderte vo l ler Angst, Schmerz und Furcht, Andrej, das ist eine gewaltige Schuld.«
    Es dauerte einen Moment, doch dann fiel Andrej auf, dass er nahezu wortwörtlich dasselbe schon einmal gehört hatte, und er musste diesen Gedanken nicht laut aussprechen. Frederic lac h te.
    »Oh ja, unser guter Inspektor«, kicherte er »Und weißt du, was das Schönste ist? Er glaubt es mittlerweile tatsächlich. D a bei könnte er einem beinahe leidtun. Er ist im Grunde seines He r zens ein so aufrechter Mann. Der Ärmste ...«
    »Er ist nicht Domenicus' Nachfahre, oder?«
    »Domenicus?« Frederic wirkte ehrlich verblüfft, dann lachte er, schrill und laut und lange. »Nein«, stieß er atemlos hervor, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Sein Vater war ein ir i scher Bergarbeiter und seine Mutter irgendeine Schlampe, die er auf der Straße aufgelesen und um den Preis einer warmen Mahlzeit in sein Bett gelockt hatte. Aber es ist so leicht, euch Dinge glauben zu lassen, die ihr glauben wollt. Menschen li e ben es, Märtyrer zu sein, wusstest du das schon?«
    Seltsam - aber die Vorstellung, dass Marcus nicht das war, was zu sein Frederic ihn glauben gemacht hatte, war beruh i gend. Da war plötzlich eine Schuld weniger, die er nicht z u rückzahlen konnte.
    »Wie gesagt«, sagte Frederic böse. »Menschen lieben es, Märtyrer zu sein. Und du machst da keine Ausnahme, Andrej. Schade nur, dass dir das Wichtigste fehlen wird.«
    »Und was sollte das sein?«
    »Zuschauer«, erwiderte Frederic spöttisch. »Was nutzt es, den schönsten Märtyrertod zu sterben, wenn niemand da ist, um hinterher davon zu berichten? Ich bedauere es au f richtig, glaub min Nach all den Jahren der Freundschaft, die uns verbinden, hätte ich dir diesen letzten kleinen Gefallen gerne getan, doch ich fürchte, so weit geht meine Großzügigkeit nicht.«
    »Willst du mich selbst töten, oder bist du auch dazu zu fe i ge?«, erwiderte Andrej schwach.
    »Töten?« Frederic sah ihn mit nahezu perfekt geschauspi e lerter Verblüffung an. »Aber ich bitte dich, Andrej! Niemand wird dich töten! Ich gebe dir mein Wort, dass niemand Hand an dich legen wird, weder Marcus noch seine Helfer. Und ich schon gar nicht. Wie könnte ich dem Mann ein Leid zufügen, der wie ein Vater für mich gewesen ist? Oder es zumindest versprochen hatte«, fügte er nach einer Pause und in ganz und gar verändertem Ton hinzu. In seinen Augen loderte Hass, u n ermesslich er, unstillbarer Hass.
    Andrej spürte, dass das keine leere Drohung war. Frederic hatte etwas vor, das schlimmer war als der Tod. Dann verstand er.
    »Du willst mich verzehren«, sagte er »Du bist hierherg e kommen, um mich zu nehmen.«
    Frederic schwieg. Der Ausdruck blieb in seinen Augen, nichts rührte sich in seinem schmalen Kindergesicht, und doch ... war da eine Spur von Unsicherheit? Etwas, das seinen Zorn noch schürte und wogegen er hilflos war?
    »Nein«, beantwortete er seine eigene Frage, als Frederic es nicht tat.

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