Glut und Asche
sie hat g e weint, wenn sie zurückgekommen ist. Sie hat immer versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie war dann immer so still, und manchmal hat sie nachts geweint.«
»Ich verstehe«, sagte Marcus. »Es ist schon gut. Du musst nicht weiterreden, wenn du es nicht willst. Ich glaube, wir h a ben alles gehört, was wir wissen wollten.« Er schwieg, dann wandte er sich mit veränderter Stimme und anderem Blick an den Mann, der sich gerade geweigert hatte, seinen Befehl au s zuführen. »Nun? Sind Sie immer noch der Meinung, diese ... Kreatur wäre ein Mensch oder würde gar Ihr Mitleid verdi e nen?«
Der Mann antwortete nicht darauf, sondern sah Andrej aus brennenden Augen an.
Dann griff er nach einer rot glühenden Zange.
Kapitel 13
A l s er erwachte, stellte er fest, dass sein Zeitgefühl zurüc k gekehrt war Es war spät in der Nacht - eine Stunde nach Mi t ternacht, wenn nicht mehr. Dennoch war es weder still noch dunkel. Flackerndes blutfarbenes Licht erfüllte die Zelle und e r weckte Schatten zu einer bösen Parodie von Leben. Immer noch hörte er Lärm, ferne Schreie und ein sonderbares, an - und abschwellendes Heulen. Auch der Schmerz war noch da. Er wol l te, dass es aufhörte. Ganz egal, wie. Es sollte nur aufhören. Er würde Marcus alles sagen, was er wissen wollte. Mühsam öf f nete er die Augen und stellte fest, dass Marcus nicht da war. Er war verschwunden, ebenso wie die beiden Folterknechte, die am Schluss so müde von ihrer eigenen Schinderei gewesen w a ren, dass sie ihre Folterwerkzeuge kaum noch heben konnten. Marcus hatte sie weggeschickt, und Andrej war überzeugt g e wesen, dass er zwei neue und frisch ausgeruhte Folterer erbl i cken würde, sobald er wieder wach wurde (oder sie ihn so lange schlugen, bis er erwachte), doch auch Marcus war verschwu n den. Nur der Junge war da.
»Ben«, murmelte er Der Klang seiner eigenen Stimme e r schreckte ihn. Sie hörte sich an wie die eines uralten Mannes - und schwach.
»Frederic«, erwiderte der Junge. »Mein Name ist Frederic. Ich dachte, du wüsstest das.«
Andrej starrte ihn an. Etwas ... geschah mit Frederics G e sicht. Er vermochte nicht zu sagen, was es war, aber es war nichts Gutes.
»Jetzt müsste ich eigentlich enttäuscht sein«, sagte Frederic. »Ich weiß, es ist lange her ; aber das zwischen uns war schon etwas Besonderes ... fast so besonders wie das zwischen Maria und dir. Ist es nicht so?«
Er konnte nicht antworten. Alles in ihm war ... erstarrt. Er blickte Frederic weiter an. Etwas in ihm wusste, dass die Ve r änderung, die er in Frederics Gesicht sah, nicht wirklich war, dass seine Augen sie ihm vortäuschten, oder auch seine G e danken. Frederics Gesicht zerschmolz, glitt um Jahrhunderte zurück in eine düstere und längst vergessen geglaubte Verga n genheit und wurde zu dem des wirklichen Frederic. Aber das war ganz und gar...
»Unmöglich«, sagte er mit so fester Stimme, wie er nur konnte. »Du kannst nicht Frederic sein. Das ist ganz und gar unmö g lich.«
»So unmöglich wie ein Mann, den man sechsunddreißig Stunden lang foltert, ihm die Haut vom Leib zieht, ihm die Fingernägel ausreißt, ihm die Knochen bricht und ihn verbrennt und der danach immer noch lebt, meinst du?«, fragte der Junge. »Versuch nicht abzulenken, Andrej. Wir wollten über Maria sprechen ... interessiert es dich, wie sie gestorben ist? Ich me i ne: Willst du wissen, wie sie wirklich gestorben ist? Ich könnte es dir sagen.«
»Ich weiß es«, antwortete Andrej. »Aber du weißt es nicht.«
»Und wenn ich es doch wüsste?«, fragte der Junge lächelnd.
»Woher wohl?«
»Vielleicht war ich ja dabei? Wäre ich es, dann könnte ich dir vielleicht sagen, wie schrecklich sie gestorben ist, wie en t setzlich sie gelitten hat. Und wie lange.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte Andrej.
»Oh, nicht so entsetzlich wie du«, fuhr der Junge ungerührt fort. »Aber schließlich war sie ja auch nur ein sterblicher Mensch. Ein Mädchen, dessen weißes Fleisch ebenso blutete wie das deine, wenn man es schnitt. Aber länger. So viel lä n ger.«
Andrej warf sich mit aller Gewalt nach vorn. Seine Ketten klirrten, und der Schmerz in seinen Handgelenken und Schu l tern war so entsetzlich, dass ihm beinahe wieder die Sinne g e schwunden wären.
»Manchmal glaube ich, ihre Schreie sogar heute noch zu h ö ren, weißt du?«, fuhr Frederic fort. »Vor allem nachts, wenn es ganz still ist. Aber dann wieder... bin ich nicht sicher, ob es nicht
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