Glut und Asche
mit einer ganz und gar überflüssigen Geste - Andrej hätte gar nicht mehr die Kraft gehabt, noch einmal aufzustehen. Er fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Kind, und es wurde nicht besser, sondern schlimmen Meruhe ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Ihre linke Hand tastete nach seiner Brust, mit der and e ren drückte sie ihn zusätzlich zu Boden.
»Was tust du da?«, fragte Abu Dun misstrauisch.
Meruhe würdigte ihn nicht einmal einer Antwort. Sie beugte sich tiefer über ihn und biss sich heftig genug auf die Lippen, dass es blutete, und dann berührten ihre Lippen wie in einem zärtlichen Kuss Andrejs Halsschlagader.
Als sich ihre Zähne plötzlich in winzige Dolchklingen zu verwandeln schienen, die seine Haut mühelos durchdrangen und die Ader öffneten, fuhr Andrej eher erschrocken als vor Schmerz zusammen.
»Was tust du da?«, fragte Abu Dun noch einmal, jetzt ala r miert. In seiner Stimme schwang plötzlich ein fast feindseliger Tonfall mit.
Meruhe ignorierte ihn weiter, und in der nächsten Sekunde hatte Andrej Abu Duns Frage vergessen. Nach allem, was hi n ter ihm lag, hätte er den winzigen Kratzer kaum noch spüren dürfen, doch er tat unerwartet heftig weh, und als sich ihr Blut vermischte, hätte er beinahe laut aufgeschrien. Es war kein Schmerz, wie er ihn jemals kennengelernt hatte. Eigentlich war es nicht einmal wirklich ein Schmerz, sondern etwas ... anderes. Etwas drang in ihn ein, etwas Warmes und Brennendes, das ihn verzehren und bei lebendigem Leibe verschlingen wollte und ihm zugleich Kraft von einer Intensität verlieh, wie er sie selten zuvor gespürt hatte.
Meruhe zog den Kopf zurück, seufzte leise und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, um das Blut von ihren Lippen zu wischen. Andrej war nicht sicher, ob er sie wirklich schl u cken sah oder es sich nur einbildete.
»Was hast du getan?«, erkundigte sich Andrej argwöhnisch.
»Dir Kraft gegeben«, antwortete Meruhe. Sie stand auf. »Nicht so viel, wie du nötig hättest, aber alles was ich veran t worten kann. Es wird reichen, um dich hier herauszubringen. Alles a n dere wird die Zeit heilen.«
Andrej wusste nicht, ob er wirklich verstand, was sie meinte - nicht einmal, ob er es überhaupt verstehen wollte -, aber sie schien die Wahrheit gesagt zu haben. Als er sich vorsichtig e r hob, fiel ihm die Bewegung nicht nur überraschend leicht, er spürte auch, wie ihn neue Kraft durchströmte. Auch noch die letzten Schmerzen erloschen, und seine geschundene Haut b e gann zu heilen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte er verblüfft.
»Wer nehmen kann, der kann auch geben, Andrej«, antwo r tete sie. »Aber sei vorsichtig. Ich fürchte, dass das Geschenk, das ich dir gemacht habe, nicht allzu lange vorhält. Dein Körper hat zu viel erdulden müssen.«
Andrej lauschte in sich hinein und verstand beinahe sofort, was sie meinte. Er spürte nichts als Kraft und ein schon fast euph o risches Wohlbehagen, aber auch, wie trügerisch dieses Gefühl war. Er bewegte sich auf Eis, das so dünn war, dass es unter seinem Gewicht bereits zu knistern begann, und darunter war kein Wasser, sondern nur ein bodenloser Abgrund voller en t setzlicher Leere.
Meruhe zog ihren Mantel aus und hielt ihn Andrej auffo r dernd entgegen, der mit einem verständnislosen Blick reagierte.
»Willst du nackt hier herausmarschieren?«, fragte Meruhe. »Nicht, dass ich normalerweise etwas gegen den Anblick deines hübschen Hinterns hätte, aber im Moment haben wir andere Probleme, fürchte ich.« Dann drehte sie sich ganz ruhig um und versetzte Abu Dun eine schallende Ohrfeige.
»He!«, protestierte Abu Dun. »Wofür war denn das?«
»Du hast anscheinend schon wieder vergessen, dass ich deine Gedanken lesen kann«, antwortete Meruhe. Ihr Blick verdü s terte sich. »Und dafür sollte ich dir eigentlich die Kehle durc h schneiden.«
Andrej wusste zwar, dass es eigentlich unmöglich war, aber er glaubte trotzdem zu sehen, wie Abu Dun rot wurde.
Meruhe wedelte ungeduldig mit dem Mantel, und Andrej zögerte nun nicht mehr, ihn sich umzuhängen. Er war nicht wirklich nackt, sondern trug noch das, was von seiner Hose und dem ehemals weißen Hemd übrig war, aber das waren wenig mehr als halb verbrannte Fetzen, die bei der ersten unvorsicht i gen Bewegung einfach auseinanderfallen würden.
»Habt ihr eine Waffe für mich?«, fragte er.
Abu Dun griff wortlos unter seinen Mantel und reichte ihm einen kurzen Säbel mit stark gebogener Klinge, doch
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