Glut und Asche
Sein Verstand, seine Logik und seine Erfahrung sagten ihm, dass er es nicht schaffen wü r de. Hundert Tonnen Stein und brennendes Holz stürzten wie ein Fels gewordener Wasserfall vom Himmel, und er floh nicht etwa davor, sondern rannte direkt darauf zu, warf sich mit e i nem gewaltigen Hechtsprung hinein und hindurch und kam mit einer verzweifelten Rolle unmittelbar hinter dem zusamme n brechenden Tor wieder auf die Füße. Etwas von der Größe e i nes Zweispänners krachte neben ihm zu Boden und zerbrach in einem Sprühregen kleinerer Bruchstücke, die wie steinerne Fäuste auf ihn einprügelten. Hustend und halb blind vor Schmerz und Hitze stolperte er weiter, wurde von irgendetwas getroffen und von den Füßen gerissen und kam irgendwie wi e der in die Höhe, erneut so gut wie orientierungslos und stö h nend, weil selbst die Luft, die er einatmete, seine Lungen zu verbrennen schien. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass das g e samte riesige Gebäude schwerfällig zur Seite zu kippen begann. Im Weiterstolpern warf er einen Blick über die Schulter zurück und sah genau das, was er befürchtet hatte: Hinter ihm türmte sich eine unüberwindbare Barriere aus Schutt und brennenden Trümmern auf, die Abu Dun und Meruhe aus - und ihn ei n sperrte. Durch dieses Tor würde niemand mehr gehen. Er war gefangen.
Wo war Frederic?
Hustend und aus tränenden Augen sah er sich um, fiel im ersten Moment auf ein Trugbild aus flackerndem Licht und brodelndem Rauch herein und stolperte ein halbes Dutzend Schritte in die falsche Richtung, bevor er seinen Irrtum begriff und kehrtmachte.
Wieder glaubte er, jemanden seinen Namen rufen zu hören, und diesmal war er ganz sicher, dass die Stimme einzig in se i nem Kopf erklang. Doch das spielte keine Rolle, so wie es auch keine Rolle spielte, dass es eine Falle war, in die er sehenden Auges hineinstürmte. Da war noch eine Sache zwischen Fred e ric und ihm, die erledigt werden musste, und was danach kam, war vollkommen egal.
Etwas bewegte sich links von ihm und auf halber Höhe der steilen Treppe, die in die oberen Geschosse des Gefängnisses hinaufführte. Eine schlanke, fast noch kindliche Gestalt, die von zwei größeren Schatten flankiert wurde und zu brennen schien.
Er stolperte los, wich brennenden Trümmerstücken und ve r kohlten Leibern aus und musste zwei - oder dreimal mit der bloßen Hand Flammen ausschlagen, die aus seinen schwele n den Kleidern züngelten, bevor er die Treppe erreichte.
Andrej, bitte! Lass mich nicht noch einmal im Stich!
Diesmal hörte er die Stimme wirklich, und auch die Gestalt, die zehn oder zwölf Stufen über ihm stand, war real, auch wenn sie in der hitzeflimmernden Luft immer wieder verschwamm und ihre festen Konturen verlor, wie eine Fata Morgana über glühendem Wüstensand. Aber er sah ihn, und er sah auch die be i den schwarz gekleideten Gestalten, die ihn an beiden Armen gepackt hatten und die Treppe hinaufzerrten. Trotz ihrer u n übersehbaren körperlichen Überlegenheit gelang es ihnen kaum, des Jungen Herr zu werden, denn Frederic wehrte sich mit verzweifelter Kraft. Als Andrej weiterrannte, verschwanden sie gerade am oberen Ende der Treppe.
Er versuchte noch einmal an Tempo zuzulegen und übe r wand immer zwei, wenn nicht drei Stufen auf einmal, hatte das Tempo des Jungen und seiner beiden Entführer aber ansche i nend trotzdem unterschätzt: Als er oben an der Treppe ankam, verschwanden sie gerade am anderen Ende eines langen Korr i dors, der in eine weitere Treppe mündete. Auch er war von fl a ckerndem rotem Feuerschein erfüllt, der aus den Zellen fiel. Er lief noch schneller, warf aber trotzdem einen Blick in jede ei n zelne Zelle. Sie waren ausnahmslos leer Das Stroh, das auf dem B o den lag, hatte zu schwelen begonnen und hier und da schon Feuer gefangen, aber er entdeckte keinen einzigen Toten. Das Gefängnis hatte entweder zum größten Teil leer gestanden, oder Marcus hatte rechtzeitig dafür gesorgt, dass die meisten Gefa n genen in Sicherheit gebracht worden waren.
Oder jedenfalls fa st alle.
Er beschleunigte seine Schritte noch einmal, sprang jetzt mit jedem Schritt drei oder vier Stufen auf einmal in die Höhe und hätte Frederic und die beiden Unbekannten einfach einholen müssen, nachdem er auch die nächste Treppe überwunden hatte. Stattdessen hatte sich ihr Vorsprung noch einmal vergrößert, denn der Flur, der nun vor ihm lag, war mindestens dreimal so lang und musste sich quer durch das gesamte Gebäude
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