Glut und Asche
alles in Ordnung?«, fragte er.
Andrej rang sich mit zusammengebissenen Zähnen ein N i cken ab, und Abu Dun zog die linke Augenbraue hoch, riss sein Hemd auf und begutachtete die täuschend kleine Stichwunde dicht unter seinem Herzen. Sie blutete kaum noch. Andrej sah zwar nicht hin, aber er spürte, wie sie sich mit selbst für ihn schon fast unheimlicher Schnelligkeit zu schließen begann.
»Das war verdammt knapp«, sagte Abu Dun. »Du hast mehr Glück als Verstand gehabt, Hexenmeister... obwohl ich allmä h lich zu dem Schluss komme, dass dazu nicht allzu viel gehört.«
»Das hat er mit Absicht getan«, sagte Andrej.
»Frederic?« Abu Dun schüttelte heftig den Kopf. »Andrej, ich bitte dich! Wie kannst du dem armen Jungen nur so etwas Ni e derträchtiges unterstellen? Ich bin ganz sicher, dass das nur ein schrecklicher Unfall war Er würde dir doch niemals etwas antun!«
»Er wollte mich nicht töten«, beharrte Andrej, während er sich mühsam auf die Ellbogen hochstemmte. »Er hat mein Herz a b sichtlich verfehlt.«
Abu Dun schwieg. Das Grinsen war von seinem Gesicht verschwunden.
Andrej stemmte sich weiter hoch, streckte den Arm aus, um nach Gunjir zu greifen, und scheute aus irgendeinem Grund davor zurück, die Götterklinge zu berühren. Stattdessen drehte er sich zu dem Toten um. Der Anblick ließ erneut einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen.
»Warum hat er das getan?«, fragte Abu Dun leise.
»Um ihn zum Vampyr zu machen«, antwortete Andrej - was im Grunde ebenso überflüssig war wie Abu Duns Frage. Keiner von ihnen hatte jemals Blut getrunken, um die Kraft eines a n deren zu nehmen, denn sie wussten beide, dass keiner von ihnen jemals zum Vampyr geworden war, weil ein Vampyr sein Blut getrunken hatte.
»Ich glaube, er hat sie alle erschaffen«, fuhr er fort. »Nicht Loki oder Marduk.«
»Dieser Junge? Ben? Frederic?« Abu Dun verbesserte sich, schüttelte aber trotzdem den Kopf. »Aber wie könnte er das? Wir haben nie herausgefunden, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind, aber es war ganz bestimmt nicht der Biss einer Fledermaus!«
»Aber ihr Blut«, murmelte Andrej so leise, dass Abu Dun die Worte vielleicht nicht verstand. Er griff nun doch nach Gunjir und stand erst dann auf. Abu Dun sah ihn fragend und ein w e nig verwirrt an. Natürlich wusste er nicht, was Meruhe vorhin getan hatte, und Andrej fragte sich, ob er das Blut auf Meruhes Lippen gesehen hatte. Vielleicht war es auch besser so.
»Komm«, sagte er, während er Gunjir so wuchtig in die l e derne Scheide rammte, dass ihre Nähte protestierend knirsc h ten. »Bringen wir es zu Ende.«
Kapitel 20
E s war beinahe zu leicht, Frederics Spur zu folgen. Es war, als könnte er ihn sehen, gleich einem Flirren in der Luft, das nicht wirklich auszumachen war, es aber unmöglich machte, die Dinge hinter ihm in gewohnter Schärfe zu sehen. Als hätte Fr e derics bloße Anwesenheit eine Schmutzspur in der Wirklichkeit hinterlassen und sie besudelt. Er fragte sich, ob dies vielleicht nur ein neuer Trick von Frederic war, um ihn zu narren und in eine Falle zu locken, verwarf diesen Gedanken aber auch gleich wieder. Wahrscheinlicher war wohl, dass seine Sinne noch einmal schärfer geworden waren und er tatsächlich so etwas wie Frederics Witterung aufgenommen hatte, wenn auch auf eine Weise, die nichts mit seinem Geruchssinn zu tun hatte.
So oder so, die Spur führte die Treppe weiter hinab, die Abu Dun und er vorhin schon einmal genommen hatten. Auf halber Strecke nach unten gab es ein schmales Fenster, an dem Andrej innehielt, um sich einen Überblick über das Geschehen draußen auf der Brücke zu verschaffen.
Sein subjektives Zeitgefühl sagte ihm, dass er eine schiere Ewigkeit in der Schreckenskammer eine Etage höher gewesen sein musste, sein Verstand hingegen machte ihm klar, dass es sich nur um wenige Augenblicke gehandelt haben konnte. Dennoch hatte sich der Anblick verändert, als wären Stunden vergangen. Abu Dun drängte ihn mit einer ungeduldigen B e wegung, weiterzugehen, aber Andrej betrachtete noch einen weiteren Herzschlag lang das schreckliche Szenario.
Zumindest der Teil der Brücke, den er überblicken konnte, stand in hellen Flammen. Nicht ein einziges Haus war dem Feuer entgangen, und es griff immer noch weiter um sich. Durch das schmale Fenster konnte er nur wenige Menschen sehen, doch das verzweifelte Schreien und Rufen und der pure Schmerz, der ihm entgegenschlug, sagte ihm mehr als
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