Glutheißer Höllentrip
Geisteskranke hatte sie immerhin zu Fuß bewältigen können.
Vielleicht befanden Li und sie selbst sich schon in unmittelbarer Nähe des rettenden Highways. Diese Vorstellung gab Kathy neue Zuversicht. Aber zuerst musste sie diese schreckliche Knochenhöhle verlassen – und zwar nicht allein. Wo war Li? Diese bange Frage spukte ihr die ganze Zeit durch den Kopf. Obwohl Kathy die Chinesin erst seit kurzer Zeit kannte, war sie zu einer guten und zuverlässigen Freundin geworden. Ob Li sich erneut dem Kampf mit Reginald Brown gestellt hatte? Falls ja, dann hatte sie ihn jedenfalls noch nicht ausschalten können. Seine unheimliche Stimme hallte nämlich immer noch durch das weitverzweigte Höhlenlabyrinth.
Reginald Brown war ihr auf den Fersen. Diese Tatsache trug nicht gerade dazu bei, sie zu beruhigen. Sie hielt ihn zwar nicht für einen Mörder, aber er war nicht Herr seiner Sinne. Wenn er seine Messer einsetzte, konnte er dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Aber war nützte das, wenn man seinem Blutrausch zum Opfer fiel?
Kathys Panik steigerte sich von Minute zu Minute, obwohl sie sich selbst zur Ruhe mahnte. Aber das war leichter gesagt als getan. Kathy hatte nämlich das Gefühl, sich inzwischen völlig verlaufen zu haben. Sie erinnerte sich an Browns Worte: Vielleicht leben Nachfahren der Si-Te-Cah bis heute in dieser Grotte.
Gewiss, es waren nur die Fantasien eines Geisteskranken. Aber wenn sie nun doch ein Körnchen Wahrheit enthielten? Kathy erinnerte sich plötzlich an eine Dokumentation, die sie auf Discovery Channel gesehen hatte. Vor wenigen Monaten war ein Indianerstamm im brasilianischen Dschungel entdeckt worden, der noch niemals zuvor Kontakt zur Außenwelt gehabt hatte. War es da so abwegig, dass es in der Wüste von Nevada ein unterirdisch lebendes Volk von rothaarigen Riesen gab?
Als Kathy dieser Gedanke kam, musste sie trotz ihrer gefährlichen Lage über sich selbst grinsen. War sie schon so verzweifelt, dass sie auf einen Verrückten wie Brown hereinfiel? In diesem Höhlensystem gab es kein Wasser und kein Essen. Falls es die Si-Te-Cah wirklich jemals gegeben haben sollte, dann wären sie sehr schnell zugrunde gegangen. Kein Mensch konnte auf die Dauer ohne Sonnenlicht leben. Und es war gewiss nicht sehr nahrhaft, sich nur von Fledermäusen zu ernähren.
Kathy brauchte nur an etwas zu essen zu denken, und schon begann ihr Magen laut zu knurren. Aber noch schlimmer war die Trockenheit in ihrem Mund. Sie wusste nicht, wie lange sie den Durst noch ertragen konnte. Dennoch musste sie weiter – aber in welche Richtung?
Kathy hatte nur einen Orientierungspunkt, nämlich Browns Lagerfeuer. Es flackerte irgendwo weit hinter ihr. Je mehr sie sich von der einzigen Lichtquelle entfernte, desto stärker wurde sie von der Finsternis umhüllt. Unwillkürlich wurde Kathy langsamer, um nicht mit dem Kopf gegen die Felswände zu rennen. Inzwischen war Kathy beinahe sicher, dass sie sich in die falsche Richtung bewegte. Aber es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Sollte sie vielleicht zurücklaufen? Nein, das kam nicht infrage. Viel zu groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Reginald Brown treffen könnte.
Außerdem – gab es vielleicht noch andere Ausgänge? Wenn die Grotte wirklich so weitverzweigt war, wie der Geisteskranke behauptet hatte, befand Kathy sich vielleicht doch auf einem richtigen Weg. Aber woran sollte sie das erkennen? Draußen war es nach wie vor Nacht, sodass sie sich nicht nach dem hereinfallenden Tageslicht orientieren konnte. Sie musste sich ganz auf ihre Instinkte verlassen, etwas anderes blieb ihr nicht übrig.
Und was war mit einem Luftzug? Konnte das nicht ein Hinweis auf eine Öffnung zur Außenwelt sein? Kaum war Kathy dieser Einfall gekommen, als sie auch schon einen kalten Hauch ins Gesicht bekam. War sie auf ihr eigenes Wunschdenken hereingefallen? Nein, sie täuschte sich nicht. Der Lufthauch wurde stärker. Kathy blieb einen Moment lang stehen. Was sollte sie jetzt tun?
Auf keinen Fall wollte sie ohne Li die Höhle verlassen. Das wäre wie ein schändlicher Verrat – vor allem, nachdem Li bei der Flucht aus dem Bus die Initiative ergriffen hatte. Hätte Kathy sich getraut, allein abzuhauen? Wahrscheinlich nicht, das musste sie sich eingestehen. Nein, sie musste erst Li finden und dann die Höhle verlassen. Das war die richtige Reihenfolge.
Offenbar war die Chinesin in eine andere Richtung gelaufen. Sie zu suchen wäre in diesem
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