Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
Vom Netzwerk:
gewaltige Probleme. Doch die hat sie schon. Sie hat Angst um ihr Leben. Ein größeres Problem gibt es gar nicht. Sie wird schießen. Alles andere ist ihr inzwischen egal.
    »Stehen bleiben. Nur einen Schritt weiter und ich schieße!«, schreit Elsa mit entschlossener Stimme. Jetzt ist sie wieder voll da. Kein Denken, nur Tun.
    »Elsa! Ich bin’s«, hört sie eine männliche Stimme. Degenwald bleibt trotz seiner Worte wie angewurzelt stehen. Offenbar traut er ihr nicht. »Stecken Sie die Waffe weg. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen«, sagt er. In einem Ton, der sofort Vertrauen einflößt.
    »Karl. Sind Sie es tatsächlich? Wo stecken Sie die ganze Zeit?« Elsa lässt die Pistole sinken. Jetzt spürt sie das Zittern ihrer Hand überdeutlich. Von dort ausgehend, durchläuft es ihren Körper. Jede Stelle, die sie fühlt. Hände, Arme, Beine, Bauch, sogar den Kopf. Sie schlottert am gesamten Körper.
    »Ist ja gut!«, verspricht Degenwald und kommt näher. Vorsichtig einen Schritt vor den nächsten setzend. Als sei er noch immer nicht vor ihrer Angst und einem Schuss aus ihrer Dienstpistole sicher. Als er vor ihr steht, deutet er auf das Stück Stoff in ihrer Hand.
    »Was haben Sie da.« Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Degenwald lauert darauf, was Elsa in dieser Nacht vor ihrer Tür gefunden hat.
    Elsa hebt den Slip hoch. Ihr Gesicht ist seltsam verzerrt. Sie sieht plötzlich um Jahre gealtert aus. »Darauf will ich Ihnen lieber keine Antwort geben«, entgegnet sie noch immer zitternd. Degenwalds Hand löst den klammernden Griff, mit dem sie den Slip in Gewahrsam genommen hat. Ihre Finger wollen das Stück Stoff nicht loslassen. Als wäre es, weil sie es bereits lange genug festhält, mit ihrer Hand verwachsen. Und dadurch erst recht existent. Gesehen, gefunden, aufgehoben und ins Leben integriert.
     
    Überm Hochgern geht zögerlich die Sonne auf. Fahle Morgenröte schiebt sich über die Kante, die Berg und Himmel trennt. Den grün bewaldeten Berg hinter sich lassend, tritt die greller werdende Kugel mehr und mehr in den Vordergrund. Der Gipfel ruht davor. Ewig während vorm gleißenden Licht.
    Am Fuß des Berges, zwischen Gehöften, Wohnhäusern, Grün und Kirche steht das Bauernhaus, in dem Elsa Wegener seit einigen Monaten wohnt. Das Wohnzimmer liegt an diesem Morgen, weil die Vorhänge zugezogen sind, in trägem Dunkel. Im Grau des beginnenden Tages. Hauptkommissar Karl Degenwald gähnt verstohlen. Dann streckt er sich, spürt zufrieden seine Glieder, die allesamt seinen Anweisungen gehorchen, und richtet den Oberkörper auf.
    Tapsende Schritte nähern sich. Noch bevor er sich aufrichten kann, steht Anna im Raum. Sie fixiert den Mann vor sich und lacht überraschend auf: »Geile Scheiße! Was treibt Sie in unser Wohnzimmer, Degi? Um die Zeit? Sie haben doch nicht etwa bei uns geschlafen?« Anna drückt sich aus, als spreche sie einen Text nach, den sie gerade erst bekommen und rasch gelernt hat. Den Beginn eines Theaterstückes. Dazwischen kichert sie.
    Degenwald rappelt sich endgültig auf und streicht dabei seine zerknitterte Kleidung glatt. Es gelingt ihm nur unzulänglich. Doch die Bewegung seiner Hände und die Absicht dahinter beruhigen ihn zwischenzeitlich. Bei seinen Anstrengungen wirft er die Kissen von der Couch, auf der er die Nacht verbracht hat. Und stößt sich den Kopf an der Leselampe. »Verflixt!«, stöhnt er und fasst sich neben sein linkes Auge, wo’s wehtut. Dann schickt er ein: »Schönen guten Morgen, Anna«, hinterher. Verlegen murmelnd.
    »Lassen Sie das seltsame Brabbeln. Und der Dackelblick ist auch nicht nötig«, kommentiert Anna die Begrüßung.
    Degenwald stellt fest, dass seine Stimme belegt ist. Noch nicht auf Tag eingestellt. Kein Wunder, nach den vergangenen Stunden. Nachdem er im Stockdunkeln bei Elsa angekommen war, hatte er ihr einen Slip weggenommen, den sie zwischen den Fingern bewachte wie etwas unendlich Kostbares. Hinterher war er rund ums Haus gegangen. Nur um festzustellen, dass nichts festzustellen war. Seiner Vermutung nach hatte Elsa ein Tier gehört, das an der Hauswand gescharrt hatte. Oder sie war einem Betrunkenen aufgesessen, der durch seinen Rausch an ihre Hausmauer geraten war. Lediglich um kurz auszuruhen, bevor er über alle Berge verschwand.
    Als er dann mit Elsa ins Haus gegangen war, hatte sich ein Gespräch zwischen ihnen entwickelt. Eines, das sie stundenlang wach hielt. Mit wirrem Ergebnis, was diese verfluchten Slips anbelangte. Und

Weitere Kostenlose Bücher