Glutnester
Ben hilft mir in der Küche. Käse und Wurst aufschneiden. Eier kochen. Müsli herrichten. Mama, du deckst den Tisch. Hol ruhig das Familiensilber aus dem Schrank. Bei zwei Männern darf das schon sein. Vor allem, wenn man die 35 hinter sich gelassen hat und das heimische Nest derart frequentiert ist.«
Elsas Blick wirkt geradewegs versteinert. Auch der der Männer spricht Bände. Nach der durchsprochenen Nacht, dem chaotischen Morgen und Annas erquicklichen Ansagen kann der Tag nur noch besser werden, hofft Karl Degenwald. Als er Ben anschaut, sieht er in dessen Gesicht dieselbe Hoffnung keimen.
»Ach ja«, fängt der plötzlich an. »Michael Horn hatte recht. Es ist Filzstift. Die Schrift auf dem Slip. Und einige der Fußspuren vor Veronika Steffels Haus stimmen mit denen von Helga Kratzer überein. Ein paar fremde sind selbstverständlich auch dabei. Vermutlich von Waldarbeitern. Aber das lässt sich ja überprüfen.«
Degenwald ist sich sicher, Ben hat noch nie mit derartiger Erleichterung über etwas Berufliches gesprochen wie in diesem Moment.
Später, im Büro, wartet der Rechtsmediziner auf Elsa und Karl. Als die beiden, zeitgleich, ihre Büros betreten, kann sich Dr. Horn eine weit ausholende Begrüßung und einen schelmischen Blick, was beides etwas Spekulatives hat, gerade noch verkneifen. Degenwalds kalte Miene lässt ihm die Worte im Mund gefrieren. Hörnchen unterlässt jede Anspielung auf Privates und kommt, nachdem Elsa durch den offenen Verbindungsraum in Karl Degenwalds Büro getreten ist, gleich zum sachlichen Teil.
»Ich nehme an, mein freundliches Lächeln reicht als Begrüßung. Kommen wir also zum Wesentlichen. Ich hab mich noch ein wenig ausführlicher mit der Veronika Steffel auseinandergesetzt.«
»Wie schön.« Degenwald zieht sich an seinem Schreibtisch hoch und hockt sich leger auf die Kante. Elsa bleibt im Raum stehen. Gespannt darauf, was der Gerichtsmediziner zu sagen hat.
»Es geht noch mal um Folgendes: Das Psychopharmakon Halcion gehört zu den Beruhigungsmitteln mit dem Wirkstoff Triazolam. Das haben wir in Veronikas Körper gefunden.«
»Das wissen wir bereits, Michael. Veronika wurde mit Halcion betäubt und danach mit Sevofluran endgültig narkotisiert«, erinnert Degenwald ungeduldig an den Stand der Dinge.
Hörnchen schaut betroffen in die Runde und spricht schließlich weiter. »So weit, so gut«, erwidert er ausweichend und fährt sich mit der Hand über die Stirn, um sich einiger Schweißtropfen zu entledigen. »Heute ist einer dieser Tage«, seufzt er, »an denen ich wünschte, ich hätte mich nicht der Pathologie, sondern der Palliativmedizin verschrieben. Das wollte ich nämlich ursprünglich. In der Palliativmedizin herrscht wenigstens der Drang, die Lebensqualität der Patienten so lange es geht zu verbessern. Bis der Sensenmann seinen schwarzen Umhang über das Bett desjenigen, dessen Zeit um ist, spannt und seinen unerbittlichen Tribut fordert. Das Leben.«
»Anschauliche Geschichte, Michael. Aber ich wäre dafür, du sagst uns einfach, was los ist.« Degenwald hat genug von Hörnchens löblichen Bemühungen. Seiner Ansicht nach will der Rechtsmediziner etwas Fatales kaschieren. Was das sein könnte, ahnt Degenwald bereits eine ganze Weile.
»Ich weiß, mein Ausweichmanöver grenzt ans Niederträchtige«, quält Michael Horn sich weiter ab. »Aber wir haben leider etwas Wesentliches übersehen.« Nach langem gedanklichen Tauziehen ist der Rechtsmediziner endlich geständig.
»Wir? Wer ist wir? Und was wurde übersehen?« Elsa kommt näher, rückt Hörnchen regelrecht auf die Pelle, als sie wenige Zentimeter vor ihm stehen bleibt. Die Stimmung im Raum ist zum Zerreißen gespannt.
»Ich hatte an besagtem Tag, als die Veronika obduziert wurde, Besuch von einem Assistenten«, ergänzt Hörnchen stockend seinen Bericht. »Und wie’s halt so üblich ist unter Kollegen, habe ich den jungen Kerl mal rangelassen. Weil er unbedingt wollte«, fügt Michael Horn unmissverständlich an. »Hat sich gut geschlagen, der Bursche. Eine Situation, die durchaus üblich ist. Wie gesagt. Jeder lernt einmal. Fängt mal an.«
»Und zu welchem Ergebnis führte dieses Ranlassen? Um bei deinem Vokabular zu bleiben.« Hauptkommissar Degenwald ist nahe dran, jeden Anstrich von Zivilisation zu verlieren. Er ahnt immer mehr, worauf Hörnchen hinaus will. Und was ihm schwant, stößt ihm schon vorab bitter auf. Dass Hörnchen ihn derart auf die Folter spannt, treibt ihn erst
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