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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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sofort da«, verspricht er und fügt dann an: »Sie haben hoffentlich Ihre Waffe bei der Hand?« Als wisse er nicht nur ungefähr, sondern genau, worum es geht. Dann, ohne Elsas Antwort abzuwarten, legt er auf. Ahnt Degenwald, dass Elsa seit wenigen Minuten zu einem Häufchen elendigen Lebens verkommen ist? Jede verstreichende Sekunde mehr.
    Die P 7. Ihre Rettung. Elsa seufzt auf. Die Angst jedoch bleibt. Auf sie ist Verlass. Die betrügt sie nicht. Elsa zieht sich eine alte Jogginghose, die sie aus einer Schublade zerrt, über ihren Slip und öffnet vorsichtig die Tür zum Gang. Aus Annas Zimmer dringt kein Laut. Alles ist still. Dafür hört Elsa das Pochen ihres Herzens überlaut. Sie zieht ihr verschwitztes T-Shirt aus der Hose. Ihr wird von Minute zu Minute heißer. Unerträglich heiß. Und kalt zugleich. Den Zettel mit den ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben, sie muss ihn Karl Degenwald zeigen, nimmt Elsa sich vor. Mit dem Finger am Abzug der Waffe schafft sie die wenigen Schritte zur Treppe und schließlich die Stufen hinunter. Eine nach der anderen. Bis ins Erdgeschoss. Dort angekommen, geht sie mit butterweichen Beinen zur Haustür. Öffnet sie und späht hinaus. Unwillkürlich hüllt sie die Schwärze der Nacht ein, die noch dichter ist als die in den Zimmern. Ein eisiger Windhauch schlägt Elsa ins Gesicht. Sie wendet den Kopf, der sich kaum noch bewegen lässt. Von links scheint das Geräusch zu kommen, stellt Elsa panisch fest. Es hört sich an, als grabe jemand ein Loch in ihr Haus. Und stoße dabei immer wieder mit seinem Werkzeug gegen die Mauer. Ein Loch, das jemanden in ihr wohlbehütetes Leben lassen wird. Jemand, der sie nicht lieben wird, sondern quälen. Elsa erinnert sich, woran sie sich nie wieder erinnern wollte.
    Es passierte vor vier Jahren. In Köln. Als ein von ihr überführter Vergewaltiger und späterer Mörder aufgrund von Mangel an Beweisen entlassen wurde und sie bedrohte. Elsa versucht, den schmerzlichen Gedanken daran zu verbannen. Doch das gibt dem Ganzen erst recht Nahrung. Der Mann blieb wochenlang an ihrer Seite. Tagsüber. Sogar nachts. Er ließ sich nichts zuschulden kommen. Er sprach nur darüber, was er mit ihr anstellen würde. Wenn er könnte. Und sie zwischen die Finger bekäme. Und er wollte. Daran ließ er keinen Zweifel. Er rief sie ständig an, schrieb Mails, lungerte vor ihrem Haus herum, vorm Präsidium. War überall. Psychoterror. Nicht nur für sie, auch für ihre Tochter.
    Elsa fühlt die Waffe in ihrer Hand. Sie schätzt nicht zum ersten Mal, dass die P 7 gerade wegen ihres Spanngriffs über ein besonderes Handspannsystem verfügte. Dadurch war die Waffe bis unmittelbar vor der Schussabgabe entspannt. Eine mechanische Sicherung war überflüssig. Eine Waffe, die man fertig geladen tragen konnte. Man musste lediglich sichergehen, dass sich Patronen im Patronenlager befanden. Das war alles. Elsa stutzt. Ihr Fuß verheddert sich in etwas, das am Boden liegt. Vor ihrer Tür. Alarmiert blickt Elsa hinunter. In was ist sie da hineingetreten? Dann sieht sie es. Den Slip. Kleine Größe. Um ihren Fuß. Elsa macht sich frei und hebt das Stück Stoff auf. Dann schluckt sie. Sie liest ihre Initialen. Sie sind auf den Stoff geschrieben worden. ›E. W.‹, Elsa Wegener. Sie merkt, wie der Angstschweiß das T-Shirt am Rücken festklebt. Ein an der Haut festgewachsenes Stück Stoff. Ein Gefühl des Ekels übernimmt Elsas gesamten Körper. Das Geräusch, das sie eben noch verrückt gemacht hat, ist plötzlich vergessen. In den Hintergrund gedrängt. Was jetzt zählt, ist der Slip. Vor allem die beiden Buchstaben. ›E. W.‹. Jedes Geräusch, das man mit Leben in Verbindung bringen könnte, fehlt mit einem Mal auf Elsas Wahrnehmungsskala. Totenstille. Weit und breit nichts zu hören. Bis auf einen herumstreunenden Kater. Der schreit jäh auf. Als quäle ihn jemand. Dabei ist es nur die Sehnsucht nach einer Katze, die ihn umtreibt. Elsa zuckt zusammen, als der Kater davonhuscht. Sie spürt ein Gefühl der Ohnmacht, dann eins des Hasses, dann nichts mehr. Sie bleibt einfach vorm Haus stehen. Wie angenagelt. Sie weiß nicht mehr, was sie tun soll. Nach einer Weile sieht sie einen Schatten auf sich zukommen. Elsa richtet die P 7 in die Richtung, die der Schatten nimmt. Zielt auf den Umriss eines Menschen. Sie wird nicht zögern. Auch wenn sie es müsste. Schließlich hat sie gelernt, dass man nur in absoluten Ausnahmesituationen von der Waffe Gebrauch macht. Sonst bekommt man

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