Glutnester
Schritten die Landstraße an. Der Himmel ist mit einem Schlag trübe wie ihre Stimmung. Wenn ihre Mutter wüsste, dass sie vorhat, per Anhalter heimzufahren, hätte sie den nächsten Grund zu fluchen und ziemlichen Ärger an der Backe. Scheiß Eltern! Gott sei Dank wird Elsa nie etwas von ihrem Autostopp erfahren, denkt Anna leichthin. Der nächste Gedankenfehler an diesem Tag. Einer, der sie in eine schreckliche Situation bringen wird. Anna hat keinen blassen Schimmer, dass ein lebensbedrohender Moment sich darauf vorbereitet, in ihr Leben einzugreifen.
Ein geschickt ausgeführter Angriff schmeichelt sowohl Opfer als auch Täter, findet er. In letzter Zeit kommt ihm immer häufiger brutale Überwältigung in den Sinn. Die eines unbekannten, frischen jungen Weibes. Er sieht glänzend nasse Schenkel vor sich. Und einen weit geöffneten Schoß. Er fühlt die barsche Abweisung schwitzender Hände auf sich. Er hört ein Röcheln. Kreischendes Haspeln des durch seine Hand nicht völlig verschlossenen Mundes. Stimmbänder, die das Letzte aus sich herausholen. Er erfreut sich an der Angst des Wildes, das zuckend unter ihm liegt. Die Gejagte ist sein Wild. Er ist der Jäger. Er will sie nicht töten. Das nicht. Nur nehmen. Wenn sie danach schweigt, will er Zufriedenheit vorgeben. Er wird der Gaukler sein. Er will milde stimmen. Sich und seine Gegnerin. Doch ob er seine eigenen Worte einhält? Wer kann das schon wissen. Und wer würde es ihm vorwerfen, wenn er es nicht täte?
Er steigt in seinen Wagen, startet und fährt los. Er lässt sich Zeit. Denn er hat genügend davon. In einem Leben, das aus Tagen mit rissigem Kitt dazwischen bestand, eilte man nicht. Man war ans Dämmern gewöhnt. Der Tag war bisher ein unergiebiges Bündel Stunden gewesen. Schockgefrorene Emotionen. Doch mit störrischer Unbeholfenheit geht er an eine Wende. Während er fährt, stellt er sich alles minutiös vor. Die Tat. Insgesamt betrachtet, hat er keinen genauen Plan. Er wird sich treiben lassen.
Mit 70 Stundenkilometern fährt er die Straße entlang. Biegt in die Kurve, fährt sie aus und blickt nach vorn. Ungefähr 300 Meter vor ihm, am Straßenrand, sieht er den schmalen Rücken eines jungen Mädchens. Jetzt dreht das Mädchen den Kopf zur Seite. Er erkennt das Profil von der Seite und augenblicklich das Weib in ihr, deren Bild er zuvor in sich geformt hatte. Das junge Weib. Der zuerst zaghaft, dann weiter geöffnete Schoß. Ihr Slip. Der strenge Geruch, weil sich die Angst aus ihr herauspressen wird. In den Stoff des Slips. Den Geruch wird er einatmen. Dann wird er fortfahren. Mit allem, was ihm in den Sinn kommt.
Das Züngeln der Flamme erstirbt. Stattdessen entzündet sich ein Feuer in ihm. Wirft sich, wie unter trockenem Zündholz, auf. Es ist kein Strohfeuer, das in ihm brennt. Es ist ein Großbrand. Einer, der seit langen Jahren auf sein Vernichtungswerk wartet.
13. Kapitel
Elsa, die sich ein neuerliches Verhör mit Roland Gasteiger vorgenommen hatte, wird enttäuscht. Der Landwirt ist nicht zu Hause. Niemand aus der Familie weiß, wo er hin ist. »Er muss sich nicht bei uns abmelden«, spuckt Helga Kratzer die Worte vor Elsa aus. Seit dem Verhör der beiden Mädchen ist Elsa auf dem Hof nicht gern gesehen. Man argwöhnt, sie habe es auf die Familie Gasteiger/Kratzer abgesehen. Um ein Exempel zu statuieren, ihre Erfolgsquote zu erhöhen, für Unfrieden zu sorgen. Irgendetwas davon. Vielleicht sogar alles zusammen. Anstatt Roland Gasteiger trifft Elsa im Stall Hubs Kratzer an. Sein Begrüßungsblick löst einen emotionalen Spießrutenlauf bei Elsa aus. Auf so viel Ablehnung, ja fast Hass ist Elsa nicht vorbereitet.
»Vero Vailand alias Veronika Steffel, die Schwester Ihrer Schwiegermutter, hat Luises Tod, Seite für Seite, in ihrem letzten Arztroman niedergeschrieben. Die perfekte Vorlage für das, was später kam.« Elsa nimmt Hubs, der ihr gar nicht richtig zuhört, sondern stupide weiterarbeitet, die Mistgabel aus der Hand. Mit einer einzigen unwirschen Handbewegung. »Hören Sie endlich auf, mit dem Ding vor mir herumzufuchteln. Ich spreche mit Ihnen. Genau genommen handelt es sich um eine Vernehmung, Herr Kratzer. Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, dass Ihre Frau, als ehemalige Tierarzthelferin, jederzeit Zugriff auf Sevofluran hatte? Und auf eine Menge Schmerzmittel ebenfalls. Ein Gang zu ihrer ehemaligen Arbeitsstätte und sie wäre perfekt ausgerüstet. Veronika Steffel wurde ein Schlafmittel
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