Glutnester
unlängst in einer Vinothek in Prien entdeckt hab. Ein guter Tropfen für den Feierabend!«, verspricht er und grinst dabei frei heraus. Ohne Hinterhalt, denkt Elsa und ertappt sich dabei, dass gerade das sie beunruhigt.
Wenn er, wie anfangs, als sie nach Bayern kam und sich nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt hat, gegen sie vorgeht, in seiner ruhigen, aber durchaus ergiebigen Art, fühlt sie sich am wohlsten. Dann hat sie die Gewissheit, dass ihr nichts in seiner Gegenwart zustoßen kann. Alles fein säuberlich getrennt. Sie hier. Er dort. Und dazwischen der sichere Abstand passender Worte, die es immer schaffen, den anderen auf Distanz zu halten. Aber so, im Schein der Wohnzimmerlampe, fast freundschaftlich zusammenstehend, erscheint er ihr in zweifelhaftem Licht. Degenwald deutet auf die Sitzlandschaft, lässt sich selbst launig in die Tiefe der Kissen gleiten und beginnt zu sprechen. »Was möchten Sie wissen?«
Elsa setzt sich zaghaft auf die Kante. Eine körperliche Vorwegnahme des Satzes, dass sie nur auf einen kurzen Sprung vorbeigekommen ist und gleich wieder weg muss. »Hätten Sie ein paar Informationen, unsere Tote betreffend? Vermutlich waren Sie heute ziemlich beschäftigt, um was zwischen die Finger zu kriegen.«
Degenwald nimmt einen Schluck Wein, lässt ihn genießerisch auf der Zunge ruhen und schluckt ihn dann sanft hinunter. Seine Augen schließen sich einen Spalt weit, dann öffnet er sie erneut, diesmal weiter als zuvor. Er blickt sie an. So, als sehe er sie zum ersten Mal. »Rosenlippen. Wunderschön!«, sagt er plötzlich. Kaum ausgesprochen, verwandelt sich sein Feierabendgrinsen in etwas Undefinierbares. Er wird todernst. »Entschuldigen Sie. Ich hoffe, ich habe nicht …«
»Nein, nein!«, platzt Elsa heraus. »Kein Problem. Machen Sie mir nur die Freude. Am Tag nach einer Scheidung kann ich jedes Kompliment gebrauchen.«
»Sie meinen, auch eins von mir?«
Elsa merkt sofort, dass Degenwald pikiert vor ihren Worten und der Energie, mit der sie sie ausgesprochen hat, zurückschreckt. Seit ihrer Trennung von Hartmut schafft sie es mit traumwandlerischer Sicherheit, jedes männliche Wesen in ihrer Umgebung abzuschrecken. So, als hätte derjenige, der ihr etwas Nettes sagt, automatisch eine Straftat begangen. Geschieht das ungewollt? Gewollt? Oder nur ungeschickterweise?
Insgeheim weiß Elsa längst, dass auch hier die Angst der Übeltäter ist. Angst davor, Gefühle zuzulassen. Sie abtreiben zu sehen. In eine Richtung, die sie nicht eingeplant hat. Angst vor seelischer Unausgewogenheit und erneutem Verlust. Beziehungsangst.
Verdammt!, schimpft sie erneut, nimmt einen großen Schluck Wein, einen ganzen Sturzbach, und stellt das Glas laut zurück auf den Tisch.
»Vor mir müssen Sie nicht zurückschrecken«, sagt Degenwald tatsächlich. Leise, fast flüsternd, aber mit einem warmen Glanz im Gesicht, der jedes Wort zu einer Kostbarkeit macht. Du bist nicht auf dem Prüfstand, Elsa. Du leidest lediglich an einem Übermaß an Verwundbarkeit!, summt es in ihrem Kopf.
In der Küche geht alles leichter. Degenwald schmiert Käsebrote, schneidet Gurken in dünne Streifen, salzt und pfeffert sie und gibt schwarze, mit Chili gefüllte Oliven in eine Schüssel.
»Der Fall erinnert an einen ähnlichen, vor etwa zwei Jahren. Ist also nicht die erste Tote in der Gegend, die gestorben ist, ohne dass wir wüssten, was es damit auf sich hat. Aber die erste, die mir echte Sorgen bereitet.«
»Weshalb?«, hakt Elsa nach.
»Weil die Ehe zwischen Luise und Roland Gasteiger immer wieder Anlass zu Spekulationen gab. Es gab Streitereien, die über das übliche Maß hinausgingen. Einmal hat sie sogar die Polizei gerufen. Angeblich wäre er handgreiflich geworden. Am nächsten Tag hat sie alles widerrufen. Sie habe wohl übertrieben und sich in ihre eigene Geschichte hineingesteigert. Seltsam, oder? Wir müssen uns die Hintergründe genau anschauen. Wer weiß, was da zutage kommt.«
Elsa stimmt zu, indem sie nickt. Außerdem stibitzt sie eine Olive, steckt sie sich in den Mund und verzieht augenblicklich das Gesicht.
»Vorsicht, scharf!«, warnt Degenwald zu spät. Elsa dreht hastig den Hahn auf und lässt Wasser in ein Glas laufen. Sie ist puterrot im Gesicht. Degenwald greift nach ihrem Glas, bringt es außer Reichweite in Sicherheit und hält ihr stattdessen ein Stück trockenes Brot hin. Elsa beißt hinein, kaut, schluckt.
»Besser?«, erkundigt Degenwald sich und lächelt
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