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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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großen, fragenden Augen an.
    »Hypoglykämie bedeutet Unterzuckerung«, übersetzt der, schüttelt langsam den Kopf und referiert weiter, »die Folgen sind Herzklopfen und Schwächeanfälle. Innerhalb weniger Minuten hat sie das Bewusstsein verloren, nehme ich mal an, und ist – Gott sei’s gedankt, zumindest bequem, sie lag ja im Bett – verstorben.«
    »Ungewöhnlich für eine Zuckerkranke, die sich längst mit allem auskannte, dass sie nicht genügend Kohlenhydrate nach der Medikamenteneinnahme zu sich nimmt!«, denkt Elsa laut nach.
    Hörnchen hebt hochtrabend die Arme und lässt sie dann wieder sinken. »Im Schlafzimmer hab ich keinen Traubenzucker oder Ähnliches gefunden, irgendwas, das ihr hätte helfen können«, meint er nur. »Alkohol ist ebenfalls Fehlanzeige. Dass man Alkohol jeglicher Art stark einschränken muss, weiß ein Zuckerkranker ohnehin.«
    »Klingt bis jetzt trotzdem unauffällig«, findet Degenwald und fährt sich über seinen Dreitagebart, der ihm prächtig steht, wie Elsa feststellt.
    »Ich vermute, das ist noch nicht alles?« Elsa fixiert Hörnchen neugierig.
    »Hört zu. Jetzt kommt der entscheidende Punkt.« Der Gerichtsmediziner strafft seinen Körper, den er in den letzten Monaten mit hartem Training von einigen überflüssigen Pfunden, die er sich zuvor angefuttert hatte, befreit und sich dadurch mit neuem Selbstbewusstsein beschenkt hat. »Die Totenstarre ist unser Thema. Unter normalen Bedingungen beginnt das Erstarren bei den Gesichtsmuskeln nach ein bis vier Stunden. Es folgen die Gliedmaßen nach vier bis sechs Stunden. Und nach zwölf der Rest des Körpers.« Hörnchen hebt sachte den Hut und kratzt sich umständlich die kaum wahrnehmbare Druckstelle, die der Hut in seine Haut gegraben hat. Als er die Kopfbedeckung erneut auf sein Haupt sinken lässt, sie mit einer eher instinktiven als einstudierten Geste festdrückt, damit der Hut in Position ist, seufzt er herzzerreißend und spricht endlich weiter. »Tja, und dann bildet sich im Zuge der einsetzenden Fäulnis allmählich alles wieder zurück.« Hörnchen räuspert sich. »Nun, was die Luise anbelangt«, er presst kurz seinen Finger gegen die rauen Lippen, als müsse er sich sammeln. »Ihr werdet es kaum glauben, aber bei ihr setzte die Totenstarre sofort ein. Was nur zwei Schlüsse zulässt: Extremer Schock oder Gewaltausübung. Da es für Gewaltausübung keine Hinweise gibt, bleibt Schock übrig. Es scheint, als sei sie in einen Schockzustand verfallen, nachdem sie irgendetwas gesehen, gehört oder begriffen hatte. Etwas, das sie fürchterlich durcheinanderbrachte. Etwas Schreckliches, Bedrohliches. Die Quizfrage lautet: Was hat sie derart aufgeregt?«
    »Das liegt doch auf der Hand.« Elsa holt zufrieden Luft. »Roland Gasteiger, der Ehemann, befreit seine tote Frau aus ihrem Zimmer, indem er die Tür aufbricht. Also für mich wäre es ein Schock, wenn ich als Zuckerkranke feststelle, dass man mich eingeschlossen hat und ich nichts zu essen habe, obwohl ich genau das muss. Essen.«
    »Sie hätte durchs Fenster nach draußen gekonnt«, gibt Degenwald zu bedenken.
    »Und wenn das nicht zu öffnen war? Hat jemand überprüft, ob die Gasteigers abschließbare Fenster haben?«
    »Sie hätte das Fenster aufbrechen können«, denkt Degenwald weiter laut nach.
    »Dazu war sie zu schwach. Und durch die Sprossenfenster konnte sie sich wohl kaum quetschen«, bleibt Elsa hartnäckig.
    »Kinder, ganz ruhig!«, mischt Hörnchen sich ein. »Soviel ich von Ben weiß, gibt es im Haus der Gasteigers abschließbare Fenster. Das wurde in Angriff genommen, als die Enkelkinder zur Welt kamen.«
    Hörnchen lässt seinen Blick zufrieden an Elsa hinabgleiten. »Nun gilt es herauszufinden, ob das, was unsere liebe Elsa als Grund annimmt, der einzige Schock war, der der Luise zugemutet wurde, oder ob etwas Gravierenderes hinter all dem steckt.«
    »Und dann wäre gut, wenn wir des Schlüssels habhaft würden, der Zutritt zu Luises Zimmer gewährt«, merkt Karl Degenwald an. »Bei der ersten Durchsuchung haben wir ihn jedenfalls nirgends gefunden.«
    »Es gefällt mir ganz und gar nicht, wenn Menschen glauben, mit Ausschweigen zwängen sie uns in die Knie. Ich schlage vor, wir nehmen die gesamte Familie noch mal ganz gehörig in die Mangel. Das war kein gewöhnlicher Tod. Glaubt’s mir. Das spür ich, wenn ich nur die Nase in die Luft halte.«
    Hörnchen lacht amüsiert auf und schlägt sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, dass es nur

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