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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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lassen.
    »Morgen früh.«
    »Ist es weit?«
    »Nein.«
    »Weshalb fahren wir dann nicht sofort?«
    Cade knurrt. Das scheint er häufig zu tun. »Das geht dich nichts an.« Er wendet den Kopf in Richtung Fenster, an dem noch immer Regentropfen herablaufen. »Und jetzt sei ruhig und versuch noch zu schlafen. Und hör gefälligst auf, mich die ganze Zeit anzusehen.«
    »Möchtest du nicht auch schlafen?«
    Ein kaltes glucksendes Lachen. »Und riskieren, dass ihr die Pistole nehmt? Nein. Außerdem muss ich nicht schlafen. Und jetzt Ruhe!«
    Von diesem Standpunkt aus hatte ich die Sache noch gar nicht betrachtet. Seine Pistole an mich nehmen? Ich habe nie zuvor eine in der Hand gehalten. Ich weiß gar nicht, wie man damit schießt.
     

    ***
    Als die Sonne ihre ersten fahlen Strahlen über das Land schickt und das Zimmer in ein gespenstisches Zwielicht taucht, scheucht Cade uns auf und befiehlt uns in seinem gewohnt bellendem Ton, das Motel zu verlassen. Ich habe nicht gut geschlafen, nur minutenweise. Meine Knochen tun mir weh.
    Als wir die Tür aufstoßen, bemerke ich erst, wie muffig und verbraucht die Luft im Zimmer gewesen ist. Wind streicht mir durch die Haare, vom Nacken ausgehend breitet sich eine Gänsehaut bis auf meine Unterarme aus. Es hat über Nacht aufgehört zu regnen, in den Pfützen glitzert das erste Licht eines frühen Morgens. In der Stadt habe ich diese Uhrzeit geliebt und die frühen Stunden immer gerne für einen Lauf zwischen den Häuserschluchten genutzt, wenn die Straßen noch einsam und verlassen waren. Ob ich die Stadt je wiedersehe?
    Cade versetzt mir einen unsanften Stoß in den Rücken und treibt mich zur Eile an. Er geht dicht hinter mir, aber ich bemerke an ihm keinerlei Geruch. Ich hätte hingegen eine Dusche nötig gehabt, zumindest glaube ich das. Ich trage meinen gelben Einheitsanzug jetzt schon zwei Tage lang und beginne allmählich, mich vor mir selbst zu
ekeln.
    Cade öffnet die hintere Tür seines Autos. Wortlos schlüpfen Neal und ich auf die Rückbank. Als wir alle auf unseren Plätzen sitzen, verstaut Cade seine Pistole wieder in dem Fach vor dem freien Platz neben ihm. Ich höre ein klackendes Geräusch, das aus der Tür neben mir zu kommen scheint.
    »Türverriegelung«, knurrt der düstere Kerl. »Nur zur Sicherheit.«
    »Wohin fahren wir jetzt?« Diesmal ist es Neal, der die Frage stellt. Ich weiß nicht, ob ich die Antwort wirklich kennen möchte.
    Zu meiner Überraschung antwortet Cade, wenn auch nicht wirklich aufschlussreich. »Nur ein paar Meilen von hier landeinwärts. Den Rest werdet ihr vor Ort erfahren.«
    Der Motor springt an und das Auto rollt von dem asphaltierten Platz hinunter auf die breite Straße, die wir tags zuvor verlassen haben. Wir fahren so schnell, dass ich Angst bekomme. Die Landschaft fliegt vor meinem Fenster an mir vorbei, mein Herz rast. Nur schemenhaft erkenne ich verdorrte Bäume und weite freie Flächen, die mich in Erstaunen versetzen. Nie habe ich mir träumen lassen, dass die Welt derart groß sein könnte.
    Neal legt seinen Arm um mich und zieht mich behutsam zu sich heran. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter. Ich möchte nicht mehr aus dem Fenster sehen. Es ist alles neu und viel zu viel, um es zu begreifen. Es ruckelt und schaukelt unter mir. Wann nimmt die Fahrt endlich ein Ende?
    Um mich abzulenken, betrachte ich Cades Nacken und seine Hände, die auf dem Rad vor seinem Körper ruhen und es nach links oder rechts drehen. Ich nehme an, es handelt sich dabei um die Steuereinheit des Autos. Er ist ganz ruhig und spricht kein Wort, ab und an zuckt sein Blick über den Spiegel, der sich in der Mitte des vorderen Fahrzeugteils befindet. Einmal sieht er mich kurz an, seine orangebraunen Augen scheinen mich zu durchbohren, obwohl der Augenblick nur einen Herzschlag lang dauert. Was mir am meisten Unwohlsein bereitet, ist die völlige Emotionslosigkeit in seinem Gesicht. Er wirkt ungerührt, weder wütend noch voll Vorfreude, weil er vielleicht nach Hause fährt. Seine Haare sind schwarz und ziemlich strubbelig, ich habe einen guten Blick auf seinen Hinterkopf. Seine Haut im Nacken ist ebenmäßig und hell, wie die eines Kindes, doch seine Gesichtszüge sind markant und männlich. Wer ist er? Ein abtrünniger Oberster? Vielleicht. Ich komme zu keiner befriedigenden Lösung, egal, wie lange ich darüber nachdenke.
    Eine gefühlte Ewigkeit lang schweigen wir. Neals Arm liegt noch immer um meine Schulter, seine Hand streicht über meinen

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