Glutroter Mond
Oberarm. Es kommt mir komisch vor, ihm so nahe zu sein, und doch so vertraut. Wir sind die besten Freunde, aber so viel Nähe habe ich früher nicht zugelassen. Jetzt ist er mein einziger Lichtpunkt in einer dunklen Nacht, alles, was mir von meinem Zuhause geblieben ist. Ich bin froh, dass er bei mir ist und fühle mich zugleich schuldig, weil er wegen mir in diese Situation geraten ist. Eine Situation, von der ich noch nicht weiß, wie ich sie einschätzen soll. Ich fühle mein Leben nicht mehr unmittelbar bedroht, dennoch wabert eine dumpfe Angst in mir.
Der Morgen schreitet voran. Ich kann unmöglich einschätzen, wie lange wir schon fahren. Manchmal wage ich einen Blick durch das Autofenster, aber die Landschaft scheint sich überhaupt nicht mehr zu ändern. Die Straße führt stur geradeaus, rechts und links gibt es nichts als Steine und verdorrte Pflanzen. Irgendwann halten wir an, weil ich mich erleichtern muss. Es ist mir sehr peinlich. Cade öffnet mit einem Murren die Türverriegelung und lässt mich aussteigen. Er macht keine Anstalten, mir zu folgen. Wohin sollte ich in dieser Einöde auch flüchten? Es gibt nichts, wo man sich hätte verstecken können.
Ich hocke mich hinter das Auto, dort, wo mich die beiden Männer nicht sehen können. Ich bin froh, dass sie mich in Ruhe lassen. Erst, als ich wieder neben Neal sitze, rastet die Türverriegelung wieder ein und die Fahrt geht weiter.
Ich lehne mich erneut gegen Neals Schulter uns schließe die Augen. Der surrende Motor dröhnt mir in den Ohren. Irgendwann schaukelt es mehr als sonst, es wirft mich gegen die rechte Scheibe, weg von Neal. Cade ist mit quietschenden Reifen um eine Kurve gefahren und hat die breite graue Straße, die endlos geradeaus zu führen scheint, verlassen. Er steuert auf etwas zu, das von weitem wie die wahllose Anhäufung von Gesteinsbrocken aussieht, mitten in der Landschaft. Erst denke ich, es handelt sich wieder nur um eine der zahlreichen Gebäuderuinen, aber dem ist nicht so. Hinter den aufgeschichteten Felsbrocken scheint ein System zu stecken, was deutlich wird, als wir näher heranfahren. Cade lenkt den Wagen durch eine Öffnung zwischen zwei Felsen in einen Hohlraum, in den das Auto genau hinein passt.
»So, da wären wir«, brummt er und öffnet die Fahrertür.
»
Wo
wären wir?«, zischt Neal voll Bitterkeit. Er hat seit heute Morgen kein Wort mehr gesprochen. Er macht keine Anstalten, Cade aus dem Wagen zu folgen.
Cade öffnet die hintere Wagentür und beugt sich hinunter, um in den Innenraum sehen zu können. Sein Gesicht ist Nahe vor Neals. Im Zwielicht der Höhle bilde ich mir ein, dass seine Augen wie Feuer leuchten.
»Im Quartier meiner Familie. Stell nicht so dumme Fragen sondern steig aus.« Grob packt er Neal am Oberarm und zerrt ihn aus dem Wagen.
Ich steige freiwillig aus. Ich möchte nicht, dass Cade mir weh tut. An einer Seite der kleinen Höhle, in der das Auto steht, zweigt eine Tür ab, die ich zuvor gar nicht bemerkt habe. Die Wände um uns herum bestehen aus grob behauenem Stein, die Tür jedoch ist aus Metall und wirkt völlig deplatziert. Cade drückt seine Handfläche in die Türmitte. Es zischt und sie schwingt nach innen auf. Mein Instinkt rät mir, den dahinter liegenden Flur nicht zu betreten, aber meine Angst vor Cade hindert mich an einer Flucht. Er hat seine Pistole zwar nicht aus dem Fach im Auto genommen, aber ich zweifle nicht daran, dass er mir mit einem Griff seiner großen Pranken das Genick brechen könnte.
Meine Knie zittern, als ich hinter Cade und Neal durch die Tür gehe. Mein Magen fühlt sich flau an. Ich zwinge mich dazu, tapfer zu bleiben und nicht zu Jammern oder zu Betteln, obwohl sich alles in mir sträubt, auch nur einen Schritt weiter zu gehen.
Hinter uns schließt sich die Tür mit einem Zischen von alleine. Das Geräusch hat etwas Endgültiges an sich. Ich habe das Gefühl, diesen Ort nie wieder zu verlassen. Cade geht voran, dreht sich aber immer wieder zu uns um, um sicher zu gehen, dass wir ihm folgen. Mir kommt es lächerlich vor. Ich sehe gar keine Alternative.
Die Decke über unseren Köpfen ist nur knapp über zwei Yards hoch. Cade kann gerade darunter hergehen, ohne sich zu bücken. Der Flur ist so schmal, dass ich die Wände mit den Fingern berühren kann, wenn ich die Arme ausstrecke. Der Boden, die Decke und die Wände sind aus matt gebürstetem Metall, in dem man sein Spiegelbild nicht sehen kann. Es geht eine Weile lang geradeaus, dann führt eine
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