Glutroter Mond
Hochhäusern.«
Wir verlassen den Highway schon wieder über eine Straße, die eine weite Schleife beschreibt und dann in eine andere einmündet. Vor uns liegt eine Ansammlung zahlreicher riesiger Gebäude mit nur einem Stockwerk und flachem Dach. Cade steuert hindurch, biegt mehrfach ab. In einer Kurve kann ich einen kurzen Blick auf das Wasser werfen. Es ist ganz nah. Ich verspüre einen kurzen Stich in der Brust, weil es mich an Zuhause erinnert.
Eines der Häuser erregt meine Aufmerksamkeit ganz besonders. Nicht, weil es anders ausgesehen hätte als die anderen. Es ist eingezwängt zwischen zwei anderen, grau und mit rissiger Fassade. Eine große Fensterfront zieht sich über die Breite des gesamten Erdgeschosses. Aber das Schild, das darüber noch blass zu lesen ist, erweckt Erinnerungen in mir.
»Minimarket?«
Cade wirft mir einen Seitenblick zu. »Ja, was ist so besonderes daran?«
»Ich habe so etwas auch in meiner Stadt gesehen. Ich konnte mir damals nicht erklären, was ein Minimarket ist. Hier gibt es auch so etwas!«
Cade stößt einen Laut aus, den man als Kichern hätte interpretieren können. »Das ist ein Supermarkt. Ihr Menschen aus dem Versuchslabor kennt so etwas natürlich nicht. Es ist auch schon eine Ewigkeit her, seit man dort das letzte Mal Kartoffeln kaufen konnte.«
Cade fährt an der Häuserreihe vorbei, doch ich verdrehe mir den Kopf, um noch einmal einen Blick auf den Minimarket werfen zu können. »Man kann dort Kartoffeln kaufen? Was ist kaufen?«
»Oh man, ich glaube, es führt zu weit, dir das alles erklären zu wollen.«
»Bitte.«
»Früher haben die Menschen ihre Arbeitskraft gegen Geld eingetauscht. Das ist Papier, auf dem Zahlen stehen und das den Wert ihrer Arbeit kennzeichnet. Das Papier haben sie wiederum gegen andere Sachen getauscht. Kartoffeln zum Beispiel. Aber noch viele andere Dinge. Und ein Minimarket ist eben ein Ort, an dem getauscht wird.«
Ich nicke, obwohl ich nicht wirklich verstanden habe, was er mir erklären wollte. Man hat Papier gegen Kartoffeln getauscht? Seltsam. Und was hat der Minimarket mit dem Papier gemacht? Ich verkneife mir weitere Fragen, weil ich mir dumm vorkomme.
Cade parkt das Auto vor einem der Häuser mit flachem Dach. »Das sind Lagerhallen«, kommentiert er beim Aussteigen. Ich folge ihm aus dem Wagen. »Als ich das letzte Mal hier war, haben einige Menschen hier eine winzige Siedlung gegründet. Sie wohnen in einer Fabrik zwei Straßen weiter von hier, aber vorerst suchen wir uns ein sicheres und unbeobachtetes Plätzchen. Die V23er kommen manchmal hierher und suchen nach den Dörfern der Rebellen. Wenn sie welche finden, erschießen sie die Einwohner kaltblütig. Ich bin einmal in einen solchen Kugelhagel geraten, als ich in Jersey City selbst auf Menschenjagd gegangen bin. Das war kein Spaß. Für gewöhnlich suchen sich die Acrai in solchen Dörfern ebenfalls ihre Opfer, aber es werden immer weniger. Wenn wir die Maschine nicht erfunden hätten, hätten wir Jersey City vermutlich längst komplett entvölkert. In Manhattan gibt es mehr als genug Nahrung für uns, aber dorthin trauen wir uns nicht oft. Ich bin damals nur wegen eines Geschäfts in deine Stadt gekommen. Unsere Begegnung war ziemlich unwahrscheinlich, ist aber passiert.«
Fast erwarte ich, dass er das Wort
leider
noch anfügt, aber er sagt es nicht.
Wir gehen auf das Haus mit dem flachen Dach zu. Eine rostige Flügeltür ziert die nackte graue Wand, Fenster gibt es an dieser Seite nicht. Ich schätze, dass das Gebäude mindestens fünfzig Yards in der Breite misst. Als wäre Cade schon öfter hier gewesen, tritt er gezielt gegen die Tür, die mit einem metallischen Krachen aufspringt.
Wir gehen hinein. Es ist fast dunkel, nur über drei Dachfenster fällt etwas von dem grauen Tageslicht herein. Meine Augen benötigen einige Sekunden, um sich daran zu gewöhnen.
Die Halle ist riesig, aber vollkommen leer. Es riecht nach Feuchtigkeit. Unsere Schritte hallen von den Wänden wider. Cade führt mich auf die gegenüberliegende Wand zu, weit weg von der Tür. Nahe dem Boden befindet sich ein Loch, etwas breiter als eine Elle. Auch von hier strömt Tageslicht herein. Ich sehe rostige Drähte, die aus der Wand herausragen.
»Setz dich hier hin und warte. Die Tür ist weit weg, wenn jemand anderes als ich hereinkommen sollte, hast du genug Zeit, durch das Loch neben dir in der Wand zu verschwinden. Vielleicht sogar schneller, als man dich entdecken würde. Es ist
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