Glutroter Mond
relativ dunkel hier drin.«
Erst jetzt bemerke ich, dass auf dem nackten Betonboden neben dem Loch eine zusammengefaltete Decke liegt. Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch.
»Ich komme nicht das erste Mal hierher«, kommentiert Cade meinen Blick. »Setz dich dorthin und warte auf mich. Wenn du möchtest, gehe durch das Loch hinaus, nur wenige Yards dahinter ist die Kaimauer. Dort ist Wasser. Aber trinke es bloß nicht. Ich würde mich nicht einmal gerne damit waschen, wenn ich ein Mensch wäre. Aber es ist besser als nichts. Gehe auf keinen Fall woanders hin!«
Als Cade sich gerade abwenden will, halte ich ihn noch einmal am Ärmel zurück. »Wohin gehst du?« Mir behagt der Gedanke nicht, allein zurückzubleiben.
»Ich höre mich um, ob ich irgendwo Materialien für eine neue Platine bekommen kann.« Sein Blick zuckt nervös hin und her. »Außerdem muss ich noch etwas anderes erledigen.«
»Hast du schon wieder Hunger?« Seltsam, wie leicht es mir fällt, darüber zu sprechen. Ich scheine es inzwischen akzeptiert zu haben, dass es neben den Menschen auch noch andere Wesen gibt.
»Geht dich nichts an.« Sein Tonfall ist plötzlich wieder so kalt und emotionslos wie noch vor zwei Tagen. Er macht auf dem Absatz kehrt und geht festen Schrittes wieder auf die rostige Tür zu, die er mit dem kreischenden Geräusch von Metall auf Stein öffnet und dahinter verschwindet. Habe ich ihn verärgert? Plötzlich bekomme ich Angst, dass er nicht zurückkommen könnte.
Kapitel dreizehn
Cade
Ich habe mich geirrt, was den aktuellen Standort der Menschensiedlung angeht. Sie campieren nicht mehr in der Hafengegend, sondern haben sich nochmals aufgesplittet und bewohnen jetzt einzelne Wohnhäuser, die sich über ein Areal von mindestens zehn Blocks erstrecken. Schon als ich beim Einbiegen auf den Highway die Wäscheleinen auf den Balkons gesehen habe, hätte mir das klar sein müssen. Nun, im Grunde bin ich sogar ganz froh darüber. Es minimiert das Risiko, das V23er Hollys und mein Versteck in der alten Lagerhalle direkt an der Kaimauer entdecken. Es bringt natürlich den Nachteil mit sich, dass ich ziemlich weite Strecken zurücklegen muss, um auf Menschen zu treffen. Menschen, die Nahrung bedeuten. Sowohl für mich als auch für Holly.
Ich nehme mir vor, erst für Hollys leibliches Wohl zu sorgen, ehe ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmere. Und davon habe ich eine Menge. Ein bisschen Brot für meine unfreiwillige Begleiterin aufzutreiben, sollte von alldem das Einfachste sein, deshalb werde ich mich darum als erstes kümmern.
Ich laufe schon seit einer geschlagenen halben Stunde durch die verlassen Straßen von Jersey City. Ich kann mir vorstellen, wo die Menschen dieser Stadt hingehen, wenn sie der Hunger plagt. Am East End steht ein Gebäude, das in der alten Welt vielleicht einmal eine Schule oder eine Universität gewesen ist. Es ist eines der wenigen, das bis auf ein paar Risse in der Fassade noch erstaunlich intakt ist. Ich habe einmal einen Menschen, den ich aus Jersey City entführt habe, davon faseln hören. In dem Haus gibt es jedenfalls eine Mensa, eine Großküche. Die wenigen Einwohner der entvölkerten Stadt leben recht organisiert beieinander, vermutlich sogar noch organisierter als die in Manhattan. Was bleibt einem auch übrig, wenn man einen gnadenlosen Überlebenskampf ausfechtet, und das Tag für Tag. Sie stehlen Getreide, Gemüse und Obst von den Feldern der V23er, um sie - wie ich glaube - in dieser Küche zuzubereiten. Ich wundere mich lediglich darüber, dass die V23er davon noch keinen Wind bekommen haben. Vermutlich treiben sie sich einfach nicht allzu oft auf der anderen Seite der Hudson Bay herum. Alles jenseits ihrer ach so sicheren Barriere scheint sie nur am Rande zu interessieren.
Ich bin selbst nie in dem Gebäude gewesen, von dem ich glaube, dort menschliche Nahrung auftreiben zu können. Weshalb auch, ich bin nicht darauf angewiesen. Unglaublich, dass ich mich jetzt um ein Mädchen sorge!
Ich schlage den Kragen meines Hemds auf und vergrabe die Hände in den Taschen. Ich sehe auf meine Füße, während ich an Häuserruinen und Schuttbergen vorübergehe. Ich möchte nicht erkannt werden, denn ich bin mir nicht sicher, ob die Leute hier mein Gesicht kennen. Wenn ja, werden sie es sicherlich mit nichts Gutem verbinden. Immerhin verschwinden des Öfteren ihre Nachbarn, wenn ein Acrai in den Straßen auftaucht. Möglich, dass man uns sogar für den Tod persönlich hält,
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