Glutroter Mond
fort. »Jedenfalls hat mein Volk selbst den ersten V23er erschaffen. Damals noch V1, Variante eins. Wir wollten uns verbessern, unsere Nachteile aus unserer DNA entfernen. Teilweise ist es uns gelungen. Die V23er sind nicht mehr wasserscheu, außerdem müssen sie sich nicht von menschlichen Emotionen ernähren. Unsere Vorteile sind hingegen größtenteils geblieben. Sie sind nicht ganz so schnell wie wir, aber immer noch heilen ihre Wunden in Rekordtempo. Im Nachhinein frage ich mich, ob es richtig war, Gott zu spielen. Irgendwann haben die V23er nämlich angefangen, gegen ihre eigenen Schöpfer zu rebellieren. Sie haben sich von uns abgespalten, uns gejagt und größtenteils vernichtet. Auf einem Planeten, der zu achtzig Prozent aus Wasser besteht, war das kein großes Unterfangen. Die V23er haben die Erde überrannt, sie mit biologischen Waffen fast entvölkert. Sie selbst hatten ja nichts zu befürchten, sie sind unempfindlich. Sie haben uns unsere Nahrung entzogen, indem sie Menschen getötet haben. Machthungrig sind sie, viel schlimmer noch als die Acrai. Sie gehen dafür über Leichen, sprichwörtlich. Sie haben aber auch einen entscheidenden Nachteil: Durch ihre Herumpfuscherei in ihrer DNA sind sie unfruchtbar geworden. Das ist der Grund, weshalb sie einmal im Jahr ihre Verstorbenen durch neue Rekruten ersetzen, die in ihrer Zentrale mit einem speziellen Serum behandelt werden, das die Menschen in ihresgleichen verwandelt. Es ist ein gentechnisch veränderter Stoff, den sie aus dem Blut von speziellen Acrai gewonnen haben. Manche von uns können Menschen nämlich auch verwandeln, dann allerdings in die Ursprungsversion wie mich, nicht in die verbesserte Variante. Was gäbe ich darum, in die Zentrale einzubrechen und das Serum zu vernichten! Das Schicksal der Verwandlung hätte dich auch ereilt, wenn sie dich in die Finger bekommen hätten. Du hättest jetzt ein schwarzes Mal am Arm. Nach und nach wären deine Emotionen abgestumpft. Ein Acrai empfindet nicht viel, ebenso wenig wie ein V23er. In der dreiundzwanzigsten Version befindet sich ihre Forschungsarbeit bereits, vielleicht sind sie inzwischen auch schon bei V24, wer weiß das schon. So genau verfolge ich ihre Entwicklung nicht. Sei froh, dass du nicht in die Zentrale gegangen bist. Die Menschen in Manhattan sind die Nachkommen derer, die damals den Krieg überlebt haben. Es gibt auch außerhalb von Manhattan noch freie Menschen, aber nicht mehr viele. In den anderen Ländern der Erde sieht es nicht besser aus. Die sind ebenfalls entvölkert und haben mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Keiner von denen würde es wagen, sich in die Angelegenheiten der USA einzumischen. Dazu haben sie gar nicht die Mittel.«
Ich öffne den Reißverschluss meiner Brusttasche und ziehe die verknickte Karte mit dem Foto heraus. »Du sprichst von anderen Orten. Kennst du diesen hier?« Ich halte ihm das Bild unter die Nase.
»Hollywood?« Er lacht. Ich wüsste nicht, was daran lustig sein soll. »Wo hast du die denn ausgegraben? Ich habe immer gedacht, die Obersten hätten dafür gesorgt, euch bloß nichts über andere Orte wissen zu lassen.«
»Die hab ich schon gehabt, als ich als kleines Kind meine Eltern an die Obersten verloren habe. Ich glaube, sie haben mich danach benannt.«
»Möglich.«
»Und wo ist Hollywood?«
»Ziemlich weit weg. An der anderen Seite des Kontinents. Aber du hast ohnehin keine Vorstellung von Entfernungen.«
»Können wir dorthin fahren?«
Wieder lacht er. »Wohl kaum. Da wären wir Wochen unterwegs. Und ich glaube auch nicht, dass die Hollywood Hills mit ihrem berühmten Schriftzug überhaupt noch existieren. Schlag es dir aus dem Kopf, Mädchen.«
Ich stecke die Karte zurück in meinen Anzug. Mein einziges Andenken an meine Eltern ... Es führt mich zu einer anderen Frage. »Du sagst, die Obersten können keine Kinder bekommen. Wie ist das bei den Acrai?«
»Wir bekommen Kinder. Manchmal mit Menschen, meist jedoch mit unseresgleichen, um das Blut rein zu halten. Menschenblut ist inzwischen jedoch in jedem von uns. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.«
»Und woher seid ihr ursprünglich gekommen?«
Cades Blick zuckt hin und her, als müsste er sich eine Antwort zurechtlegen. »Keine Ahnung. Aus dem Weltall?«
»Weltall?« Wovon spricht er denn jetzt schon wieder?
»Ach, vergiss es.« Er lässt den Kopf sinken und starrt auf seine angewinkelten Knie. Ich habe den Eindruck, dass er mir eine ganze Menge verschweigt, aber
Weitere Kostenlose Bücher