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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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ich frage nicht weiter nach. Ich fühle mich auch jetzt schon überfordert. Ich komme mir dumm vor, doch es fällt mir schwer, die Informationen zu verarbeiten und einzuordnen. Die V23er verändern einen Menschen also. Sie zwingen ihn dazu, mit dreißig Jahren zu sterben. Und das für den Preis der Unempfindlichkeit gegenüber Krankheiten und Verletzungen. Die Erkenntnis schockiert mich. Und das habe ich mir einst gewünscht? Mit einem Mal bin ich fast froh darüber, dass Cade mich entführt hat. Aber es bringt mich zwangsläufig auch auf einen anderen Gedanken.
    »Wir müssen Neal da herausholen. Ich kann ihn nicht im Stich lassen.«
    Cade sieht mich an, als zweifelte er an meinem Geisteszustand. »Wie stellst du dir das vor? Willst du in die Zentrale hineinmarschieren und sie bitten, ihn gehen zu lassen? Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass sie ihn überhaupt dort behalten. Er wurde doch nicht auserwählt, oder?«
    »Nein. Seine Untersuchung ist schon im letzten Jahr gewesen. Man hat ihn nicht rekrutiert. Wonach suchen sie überhaupt in unserem Blut?«
    Cade zuckt die Achseln. »Ich vermute, dass sie geeignete Kandidaten suchen, die ihres Serums würdig sind. Ich habe gehört, dass einige die Verwandlung nämlich gar nicht überleben. Vielleicht gibt es spezielle genetische Merkmale, die das Risiko minimieren.«
    »Glaubst du, sie bringen Neal zurück nach Manhattan?« Oder töten sie ihn womöglich? Ich traue mich gar nicht, es auszusprechen.
    »Wir werden es erfahren, wenn ich dich nach New York zurückgebracht habe. Vielleicht ist er schon dort und wartet auf dich. Ich hoffe bloß, dass sie die undichte Stelle im Lincoln Tunnel noch nicht gefunden haben. Es ist immerhin nicht leicht, in den Rattenkäfig zu gelangen.«
    Ich fühle mich zerrissen. Es ist, als hätte Cade mir gegen den Kopf geschlagen. Einerseits möchte ich zurück in mein altes Leben, ja. Aber es kommt mir eher vor, als sehnte ich mich in eine Zeit zurück, nicht an einen Ort. Mir erscheint der Gedanke absurd, nach New York zurückzugehen. Ich kann doch nie wieder so tun, als sei nichts gewesen. Nicht, nachdem ich die Wahrheit kenne. Zudem sie
mich
auserwählt haben. Sie werden mich holen, ob ich es nun will oder nicht. Andererseits kann ich hier auch nicht bleiben. Der Horror im Quartier der Acrai ist noch allgegenwärtig. Sie wollten mich tot sehen. Dorthin kann ich auch nicht.
    Cade seufzt, tief und gedehnt. »Glaube mir, Holly, ich kann auch nicht so weitermachen, als sei nichts gewesen. Ich fühle mich irgendwie - verändert. Keine Ahnung, ob es etwas mit dir zu tun hat. Es ist, als flöße etwas durch meine Adern, das vorher nicht da gewesen ist. Schon, als ich unfähig war, dich zu erschießen, habe ich es bemerkt.«
    »Du hättest mich wirklich erschossen?« Ich wundere mich über meine eigene Nüchternheit, mit der ich ihm die Frage stelle.
    »Wenn mich nicht etwas in mir drin davon abgehalten hätte. Ja. Ich habe hunderte Leben auf dem Gewissen.« Er sagt es, als spräche er über das Wetter.
    Ich betrachte die mit Farbe beschmierte Häuserfassade gegenüber. Jemand hat
J.O. war hier
daran gekritzelt. Ich möchte nicht darüber nachdenken, welchem Schicksal ich nur knapp entkommen bin. Inzwischen geht die Sonne unter, die Schatten sind lang.
    »Also, Holly, ich würde sagen, wir verbringen die Nacht im Auto und morgen früh bringe ich dich in deine Stadt zurück. Mir fällt nichts Besseres ein. Gib mir bitte die Platine. Ohne die kann ich nicht zurück ins Quartier. Wenn ich Glück habe, reißen sie mir dort nicht den Kopf ab, weil ich so lange weg war. Wenn die Platine weg ist, tun sie es mit Sicherheit.«
    Ich sehe ihn an und ziehe die Stirn kraus. »Die kleine Platte mit den Drähten?«
    »Ja, oder hast du etwa noch woanders irgendwelche Bauteile versteckt?« Er klingt ungehalten und streckt mir die Handfläche entgegen.
    »Ich habe das Ding nicht. Neal hat es mir aus der Hand geschlagen, bevor wir angegriffen wurden.«
    Cade springt auf, so schnell, dass meine Augen seinen Bewegungen nicht folgen können. »Neal hat sie?! Scheiße!«
    Er tritt gegen den Autoreifen. »Das ist eine Tragödie! Ich muss die Platine zurückhaben!«
    »Dann sollten wir Neal vielleicht doch suchen.« In mir keimt Hoffnung auf.
    »Unmöglich!«
    »Und jetzt?« Ich erhebe mich ebenfalls vom Bordstein. Mein Rücken ist schon ganz steif. Ich strecke ihn durch.
    »Entweder gehe ich zurück und ziehe mir den Zorn der anderen zu, oder ich besorge neue

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