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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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allerersten Siedlern gehört hatte.
    Ka-wumm. Ka-wumm. Dann Stille . Ka-wumm.
    Hinter den Bäumen konnte Willow eine Lichtung erkennen. Von dort aus wären es noch etwa eineinhalb Kilometer bis zu der Straße, die nach Hause führte. Aber anstatt in diese Richtung weiterzulaufen, orientierte Willow sich am Geräusch und ging noch tiefer in den Wald hinein. Sie spürte eine brennende Neugier, die sie quälte wie ein Juckreiz. Sie liebte dieses Gefühl, das sie von sich selbst ablenkte, von ihren eigenen Problemen und Grübeleien. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, und sie beschleunigte ihren Schritt. Sie überprüfte ihr Handy. Immer noch kein Empfang.
    Als das Geräusch lauter wurde, ging Willow langsamer, bis sie schließlich nur noch schlich. Ihr Arm verfing sich, und als sie ihn an den Körper zog, hörte sie das laute Knacken eines schwarzen, morschen Astes. Sie schaute an sich hinab und entdeckte das Loch in ihrer geblümten Lucky-Brand-Bluse. Sie tastete nach und hatte Blut an der Hand. Die Bluse war ihr Lieblingskleidungsstück, sie hatte sie bei ihrem letzten Ausflug in SoHo gekauft. Es war, als trage sie ein Stückchen Großstadt mit sich herum, unerreichbar für die Barbies aus der Schule. Neue Wut auf sich selbst überkam sie. Willow, wenn du besser auf dich aufpassen würdest, kämst du nicht in solche Situationen. Das würde ihre Mutter jetzt sagen, und sie hätte recht.
    Ka-wumm. Ka-wumm.
    Sofort vergaß sie den stechenden Schmerz in ihrem Arm und bewegte sich weiter auf das Geräusch zu. Als sie ihn sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte – ein Tier vielleicht oder eine im Wind klappernde Tür vor dem Eingang eines Minentunnels. Aber ganz sicher hatte sie nicht mit einem Mann gerechnet, der mitten im Wald eine Grube aushob. Ka-wumm.
    Er war so groß und breit wie die Baumstämme ringsum, und sein langes, rabenschwarzes Haar ergoss sich wie Erdöl über die Schultern seines grauen Kapuzenpullovers. Er stand in seiner dunkelblauen Arbeiterhose bis zu den Knien in dem Loch und grub. Willow erstarrte. Es verschlug ihr den Atem, aber sie schaute weiter zu. Achte auf die Details. Jede Kleinigkeit erzählt eine Geschichte. Schau hin.
    Neben ihm lag eine große, schwarze Tasche, in der sich offenbar sein Werkzeug befand. Auf seinem Rücken war ein riesiger Schweißfleck. Plötzlich hörte sie ein leises, verzerrtes Schrammeln; er trug Kopfhörer und hörte Musik, so laut, dass Willow sie selbst aus zehn Metern Abstand noch wahrnehmen konnte. Auf einmal verfinsterte sich der Himmel, und die Temperatur schien abzusacken. Willow fing an, vor Kälte zu zittern. Sie wich zurück, hörte nichts mehr als das eigene Keuchen.
    Da hielt der Mann inne, hob den Kopf, nahm sich die Kopfhörer ab und streckte sich ausgiebig. Willow ging langsam rückwärts, aber plötzlich fing ihr Handy zu klingeln an. Lily Allen plärrte durch den schweigenden Wald. Nein, es war mehr wie eine Explosion, die die Stille zerriss. Der Mann wirbelte herum, und sie sah seine blasse Haut und seine tiefschwarzen Augen.
    »Hey!«
    Willow antwortete nicht. Sie drehte sich um und rannte los. Sie tastete nach dem lärmenden Handy. Der Klingelton war durchdringend. Warum hatte sie ihn so laut eingestellt? Und gerade als sie das Handy aus der Tasche ziehen wollte, rutschte es ihr aus der Hand. Sie drehte sich um. Der Mann war ihr nicht gefolgt, sondern stand seelenruhig da und schaute ihr mit einem amüsierten, fast schon spöttischen Lächeln nach.
    Willow blieb nicht stehen, um das Handy aufzuheben, und sie drehte sich auch nicht noch einmal um. Sie rannte und rannte immer weiter, über die Lichtung und zwischen den Baumstämmen hindurch, bis das Tageslicht durchbrach und sie wieder an der Landstraße stand. Erst da wagte sie, innezuhalten und sich, von heftigen Seitenstichen geplagt, vornüber zu krümmen und nach Luft zu schnappen. Sie war nicht besonders sportlich. Sie konnte nicht mehr. Falls er ihr gefolgt war und jetzt aus dem Gebüsch sprang, könnte sie nichts weiter tun, als zu schreien, ihm das Gesicht zu zerkratzen und zu hoffen, dass jemand sie hören würde.
    Aber da war sie wieder, die Hollow’sche Stille. Nichts war zu hören als die Singvögel und der kühle Wind in den Bäumen. Sie spähte zwischen den Stämmen hindurch, konnte aber niemanden erkennen. Sie war allein. Sie hatte ihre Bluse zerrissen und ihr Handy verloren, und ihre Lunge brannte nach der ungewohnten Anstrengung. Die

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