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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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sie ihre Träumereien nicht im Griff, im echten Leben oft als reinste Folter. Aber diesmal würde es nicht so weit kommen, Bethany kannte sich. Sie würde mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, Willow zuliebe. Sie konnte es sich nicht leisten, hysterisch zu werden. Sie atmete tief durch und beruhigte sich.
    Sie lief einmal durchs ganze Haus und kontrollierte sogar den Dachboden – weitläufig und mit vielen Oberlichtern. Sie hatte vor, hier oben irgendwann ein Schreibzimmer einzurichten. Aber daran war jetzt nicht zu denken. Sie stieg ins Erdgeschoss hinunter und trat durch die Schiebetüren auf die breite Holzveranda hinter dem Haus, von der aus man den Wald überblickte und bis zu den Bergen sehen konnte. Sie hatte ihr Traumhaus gefunden, aber als sie es kaufte, war sie am Tiefpunkt ihres Lebens gewesen. Das Haus war ein Trostpreis; und die Vorfreude auf das Haus hatte sie tatsächlich getröstet. Allerdings machte das Haus in Wirklichkeit viel mehr Arbeit, als sie gedacht hatte. Es war wie mit der Ehe. Wie mit dem Leben im Allgemeinen.
    Als sie wieder in der Küche stand, hörte sie die Haustür ins Schloss fallen, und dann Willows schwere Schritte im Flur. So ein zartes Mädchen – spindeldürre Beine, schmale Schultern, Arme wie eine Ballerina – und doch polterte sie durchs Haus wie ein Nashorn, stampfte die Treppe hoch, lärmte in ihrem Zimmer herum.
    Bethany wusste, sie sollte wütend sein, sie sollte toben vor Wut. Sie sollte schimpfen und schreien. Stattdessen gaben ihre Knie vor Erleichterung nach. Sie stellte das Telefon auf die Ladestation zurück, legte Unterarme und Kopf auf den Küchentresen und machte sich auf die kommende Auseinandersetzung gefasst. Als sie aufsah, stand Willow in der Tür. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Wangen glühten.
    »Was ist passiert?«, fragte Bethany, »wo warst du?«
    Sie riss sich zusammen, um nicht auf Willow loszustürzen, sie zu umarmen und zu drücken. Sie musste wenigstens so tun, als sei sie böse – nicht bloß traurig und erleichtert und überzeugt, als Mutter komplett versagt zu haben. Willow ließ ihre Tasche zu Boden plumpsen, zog einen Stuhl heran, dessen Beine laut über den Parkettboden scharrten, und ließ sich fallen.
    »Diese Schule …«, fing sie an.
    »Nein, Willow.« Bethany hob die Hand. »Erzähl mir nicht, warum du aus der blöden Schule weggelaufen bist. Ich will es gar nicht hören. Du darfst die Schule ohne meine Erlaubnis nicht verlassen. Niemals.«
    »Aber Mom …«
    »Dafür gibt es keine Entschuldigung.«
    Aber sie klang nicht überzeugend; sie fand ihre Stimme schwach und weinerlich. Sie würde Willow Hausarrest erteilen, aber ihre Tochter hatte kaum Freundinnen und wollte ohnehin nirgendwo hin. Bethany legte sich eine Hand an die Stirn und dachte über eine bessere Strafe nach. »Eine Woche Internetverbot«, sagte sie schließlich. »Und gib mir bitte dein Handy.«
    »Aber …«
    »Kein Aber. Ich habe dir immer gesagt, falls ich erfolglos versuche, dich auf dem Handy zu erreichen, nehme ich es dir weg.«
    Willow sackte auf dem Stuhl zusammen und stieß Luft durch einen Mundwinkel aus, um sich ihre Haare aus dem Gesicht zu blasen.
    »Ich habe es verloren. Das Handy. Ich habe es unterwegs verloren.«
    Bethany sah ihre Tochter an, die wiederum auf ihre zerrissene Netzstrumpfhose schaute. Bethany sah, dass Willows Knie aufgeschürft und ihre Kleider zerrissen waren. Die Besorgnis drängte die Wut in den Hintergrund.
    »Was ist passiert?«, fragte sie. »Sag es mir.«
    Willow verdrehte die Augen.
    »Ich bin durch den Wald gelaufen.«
    »Verdammt, Willow!«
    »Ich habe Angst bekommen und bin gerannt«, erklärte Willow. Plötzlich klang sie weinerlich und sehr jung, so wie damals als Kind, wenn sie hingefallen war und losheulte. »Ich bin gestolpert und habe das Handy verloren. Ich habe mich nicht getraut, nochmal umzukehren.«
    »Oh, Willow.« Bethany wusste nicht, ob sie ihrer Tochter glauben konnte. Das war wirklich traurig. Sie konnte sich nicht länger auf ihr Bauchgefühl verlassen, wenn es um Willows Lügengeschichten ging. Meine Güte, was würde sie jetzt für ein Glas Wein geben! Sie warf einen Blick auf die Uhr: kurz nach drei. Sie hatte gehört, dass man, falls man tagsüber auf die Uhr schielte, um sich ab fünf einen Drink zu genehmigen, möglicherweise ein Alkoholproblem hatte. Bethany glaubte nicht so recht daran. Sie hatte den Eindruck, dass ständig irgendwer darauf wartete, ihr ein Problem

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