Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Vergangenheit zurechtzukommen. Er musste immerhin seinen geliebten Job an den Nagel zu hängen. Außerdem wusste er selbst, dass viele seiner Gedanken ungesund waren. Aber was hatte er eigentlich von den Sitzungen? Ging es ihm besser als vor einem Jahr? Er wusste es nicht.
»Noch etwas?«, fragte der Doktor. Jones fragte sich, wie lange der Therapeut auf eine Antwort gewartet hatte.
»Früher habe ich gern mit Holz gearbeitet. Ich hatte ein Händchen dafür.«
Der Doktor setzte sich interessiert auf und machte ein fast erleichtertes Gesicht. Zum ersten Mal kam Jones in den Sinn, er könnte ein schwieriger Patient sein.
Der Mann kann dir nicht helfen, wenn du ihn nicht leiden kannst, ihm nicht vertraust und dich nicht öffnest , hatte Maggie gestern noch gesagt.
Und wenn ich keine Hilfe brauche?
Sie lächelte traurig und legte ihm eine Hand auf den Arm. Und wenn doch?
»Vielleicht sollten Sie jetzt, da Sie die Zeit dafür haben, einen Kurs belegen?«, sagte Dr. Dahl. »Wer weiß, was sich daraus ergibt.«
»Wer weiß«, sagte Jones.
Aber die Vorstellung erregte sein Unbehagen. Er hielt dem Doktor ein Stöckchen hin, indem er es aussprach.
»Was glauben Sie, woher Ihre Ablehnung kommt?« Der arme Dr. Dahl war aufgeregt bis an die Sesselkante gerutscht.
Jones schaute zum großen Fenster hinaus auf den Waldparkplatz. Hier im Tal fügten sich die Baumkronen im spätnachmittäglichen Licht zu einem Feuersturm aus Orange, Gold, Gelb und Braun zusammen. Die Wahrheit war: Er wollte nicht Teil einer Schülergruppe sein, einer Truppe von Ratlosen. Er wollte nicht mit Leuten in einem Raum sitzen, die auf eine allwissende Lehrperson fixiert waren. Im Grunde genommen stand er der Therapie aus genau diesem Grund so kritisch gegenüber. Was qualifiziert Sie dafür, mir irgendwas vorzuschreiben? , dachte er oft, wenn er hier saß.
Aber er fand nicht die Worte, um sich auszudrücken. Er wusste, er würde arrogant und verbittert klingen. Vielleicht war er das auch. Aber er fühlte sich schwach und verletzlich bei dem Gedanken, sich zu einem Midlife-Crisis-Tischlerkurs anzumelden und mit einem Haufen bemitleidenswerter, orientierungsloser Verlierer in einem Klassenraum zu hocken. Denn genau diese Typen erwarteten ihn dort – Frührentner, frisch Geschiedene und Väter, deren erwachsene Kinder das Haus verlassen hatten.
»Kommt mir vor wie Zeitverschwendung«, sagte er.
Eine Regung zuckte über das Gesicht des Therapeuten – Enttäuschung, Sorge? Dann ließ der Doktor den Kopf hängen. Er nahm den Notizblock von den Knien und legte ihn beiseite, bevor er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug. Jones verstand, dass die Geste Resignation und Enttäuschung zum Ausdruck bringen sollte. Und plötzlich setzte der Kopfschmerz wieder ein, der an Jones’ Hinterkopf begann und sich in seinem Schädel festkrallen würde, um ihm schließlich gnadenlos auf die Augen zu drücken.
»Jones, hören Sie«, sagte der Doktor. Seine Stimme klang sanft, und nicht zum ersten Mal fiel Jones auf, wie jung sein Therapeut war. Vielleicht Anfang dreißig. »Vor unserer nächsten Sitzung sollten Sie sich vielleicht mit der Frage auseinandersetzen, warum Sie überhaupt herkommen.«
»Ich verstehe nicht.« Aber Jones verstand sehr wohl, und er verspürte ein finsteres Triumphgefühl, so als hätte er ein Spiel gewonnen, an dem er, ohne es zu merken, teilgenommen hatte.
Der Doktor rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Augen.
»Ich wollte damit sagen, dass Sie sich bewusst widersetzen und mit allen Kräften verhindern, einen Ausweg zu finden und mit Ihrer traumatischen Vergangenheit angemessen umzugehen, möglicherweise sogar aus ihr zu lernen, um in Zukunft besser zu leben.«
»Ich bin doch hier, oder?«
Der Doktor rang sich ein Lächeln ab und legte den Kopf schief.
»Körperlich, ja. Körperlich sind Sie regelmäßig hier anwesend. Und Sie sind eloquent, wenn es um Ihre Vergangenheit geht, um Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter, die Abwesenheit des Vaters, den Verlust Ihres Jobs. Das ist toll. Das ist ein Fortschritt. Aber jetzt, da es an der Zeit wäre, den nächsten Schritt zu tun, habe ich das Gefühl, Sie machen dicht.«
Jones setzte sich auf. Es klang beinahe so, als wollte der liebe Herr Doktor ihn entlassen; der Gedanke erfüllte ihn mit Vorfreude.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Doktor. Ich gebe mir wirklich Mühe.« Die Lüge blieb zwischen ihnen in der Luft hängen, prallte von den Wänden ab.
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