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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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anzudichten.
    »Tatsächlich?«, sagte sie. »Du hast es verloren?« Bethany griff zum Telefon und wählte Willows Nummer.
    »Nein, Mom!«
    Bethany beobachtete ihre Tochter und hielt sich den Hörer mit Abstand ans Ohr, denn statt des Freizeichens plärrte ihr laute Musik entgegen. Zu ihrer Überraschung hörte sie es weder in Willows Taschen noch aus dem Rucksack klingeln. Sie wollte gerade auflegen, als sich am anderen Ende der Leitung ein Mann meldete. Eine namenlose Angst durchfuhr sie.
    »Wer spricht da?«, fragte sie.
    »Wer spricht da ?«, kam es zurück. Der Mann klang irgendwie nett, sympathisch. »Ich habe dieses Handy im Wald gefunden.«
    Willow wurde kreidebleich und starrte ihre Mutter aus untertassengroßen Augen an.
    » Sag ihm nicht, wer du bist!«, flüsterte sie, sprang auf und legte Bethany eine Hand auf den Arm. »Mom, leg auf!«
    Bethany warf ihrer Tochter einen drohenden Blick zu, und geknickt wich Willow zurück. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Mom, bitte!«
    »Hier spricht Bethany Graves. Kann ich das Handy irgendwo abholen? Tut mir leid, Ihnen Umstände zu machen. Meine Tochter hat das Ding verloren.«
    »Klar, natürlich«, sagte der Mann. Er schien das Ganze recht amüsant zu finden, was Bethany ein wenig ärgerte. »Soll ich es Ihnen vorbeibringen?«
    »Nein, wir sollten uns treffen.« Nette Stimme hin oder her, die New Yorkerin in ihr weigerte sich standhaft, einem Fremden ihre Adresse zu verraten und ihn in ein Haus einzuladen, das mitten im Wald stand. Ruhig und abgeschieden. Ideal für eine Schriftstellerin. Klar, und niemand hört deine Schreie, hatte Philip letztes Wochenende beim Abendessen gesagt. Der Satz war ihr im Gedächtnis geblieben.
    »Wie wäre es in einer Stunde im Hollows Brew?«
    »Sehr gern. Herzlichen Dank«, sagte Bethany und legte auf.
    Dann fragte sie Willow: »Was ist bloß in dich gefahren?«
    Aber Willows Miene jagte ihr einen Schrecken ein. So war es immer schon gewesen, selbst als Willow noch klein war. Was die eine fühlte, fühlte die andere ebenfalls. Als Willow klein war – war es gestern gewesen oder vor hundert Jahren? –, hatte Bethany sie in ihrem Bettchen gehört, sobald sie am Morgen oder in der Nacht die Augen aufschlug. Hatte Bethany sich aufgeregt, war sie nervös oder ängstlich, bekam Willow schlechte Laune. Und es war heute noch so. Willow konnte nicht traurig oder gestresst oder verängstigt sein, ohne dass Bethany es als Ziehen in der Magengegend spürte.
    »Wer war das?«, fragte Willow. Ihr Gesicht war bleich, und sie riss die Augen auf. »Der Mann aus dem Wald?«
    »Du hast im Wald einen Mann gesehen?«
    »Ich wollte es dir nicht erzählen. Du hättest es mir sowieso nicht geglaubt.«
    Bethany spürte eine Flutwelle der Wut, die aber sofort von den eigenen Schuldgefühlen eingedämmt wurde. Vermutlich hatte Willow recht. Bethany hätte ihr tatsächlich nicht geglaubt.
    »Lass es drauf ankommen«, sagte Bethany.
    Es sprudelte nur so aus Willow heraus. Sie erzählte von ihrem Lehrer, wie verletzt und beschämt sie sich in seinem Sprechzimmer gefühlt hatte, wie sie aus der Schule geflüchtet war und was sie im Wald beobachtet hatte. Sie lief auf und ab und gestikulierte wild herum. Bethany verfolgte fasziniert, wie Willow die Erzählfäden spann, auf Details achtete – das feuchte Laub, der Himmel über den Baumkronen. Ihre Tochter war die geborene Geschichtenerzählerin. Was zumindest jetzt, in ihrem Alter, nicht von Vorteil war. Als Willow fertig war, ließ sie sich theatralisch auf den nächsten Sessel sinken, so als sei sie von den Ereignissen und ihrer eigenen Schilderung vollkommen erschöpft.
    »Jetzt weiß er, wer wir sind«, sagte sie. »Was, wenn er eine Leiche vergraben hat?«
    Bethany zog sich einen Stuhl heran, strich Willow eine rotblonde Haarsträhne aus der Stirn und drückte ihre schmale Schulter. Seit Millionen Jahren schaute sie in diese dunkelbraunen Augen. Das Mädchen war gewachsen und hatte sich verändert, aber die Augen waren so ewig wie der Mond.
    »Also wirklich, Willow«, sagte Bethany, »wo hast du bloß deine blühende Fantasie her?«
    Willow starrte sie ungläubig an, aber dann fingen beide an zu lachen. Sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen und sie sich den Bauch halten mussten. Bethany spürte eine übergroße Liebe zu ihrem wilden, trotzigen Kind. Ihr fiel ein, was sie selbst alles in den Sand gesetzt und wie viel sie verloren hatte im Leben und dass das alles egal war wegen dieser

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