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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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fühlte sich unbehaglich, und das gefiel ihm nicht. Er konnte kaum ruhig sitzen bleiben und wäre am liebsten aufgesprungen und im Zimmer auf und ab gelaufen. »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Man hört so einiges über Sie. Dass Sie den Leuten helfen. Dass Sie auf Häuser aufpassen, wenn die Bewohner verreist sind, dass Sie nach der Post sehen und so weiter.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Nur in unserer Straße.« Er lehnte sich zurück und hob die Hände in die Höhe. »Was ist? Wollen Sie verreisen? Soll ich Ihre Katze füttern?«
    Sie stieß einen Seufzer aus und starrte auf die Tischplatte.
    »Bald werden sich auch Leute aus anderen Stadtteilen an Sie wenden, man wird Sie um mehr bitten«, sagte sie. »Und das wird unvorhersehbare Folgen haben.«
    Das gefiel Jones nicht. Aber er wollte sich nicht die Blöße geben.
    »Okay«, sagte er gedehnt.
    »Ich wollte Sie nur darauf vorbereiten. Ich hatte eine Vision.«
    Sie sah ihn eindringlich an, und das Glänzen in ihren Augen verunsicherte ihn. Dieser Blick erinnerte ihn an seine Mutter, die er damals nach ihrem Schlaganfall auf dem Badezimmerfußboden gefunden hatte. Er stieß sich vom Tisch ab und stand auf.
    »Warum erzählen Sie mir das?«, fragte er und stellte sich in den Türrahmen.
    »Weil Sie es wissen sollten«, antwortete Eloise. Sie saß immer noch aufrecht da und hatte den Kaffee nicht angerührt.
    Alles klar. Vielen Dank für Ihren Besuch. Rufen Sie mich nicht an, ich rufe Sie an. Ich zeige Ihnen den Weg hinaus. Aber weil seine Neugier stärker war, fragte er stattdessen:
    »Was haben Sie gesehen?«
    Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
    »Es ist schwer zu beschreiben, es war wie ein Traum. Möglicherweise geht bei der Deutung das Wichtigste verloren.«
    Falls sie eine Show abzog, machte sie ihre Sache gut. Sie wirkte ernst, kein bisschen aufgesetzt oder theatralisch. Wäre sie eine Zeugin, würde er ihr jedes Wort glauben. Aber sie war keine Zeugin, sie war eine Irre.
    »Versuchen Sie es trotzdem«, sagte er. »Deswegen sind Sie doch gekommen, oder?«
    Sie atmete tief ein. Dann sagte sie:
    »Ich habe Sie an einem Flussufer gesehen … vielleicht war es aber auch ein Strand. Das Wasser war aufgewühlt. Ich habe Sie rennen sehen, Sie wollten eine leblose Gestalt aus dem Wasser ziehen. Ich weiß nicht, wer oder was es war. Vermutlich eine Frau oder ein junges Mädchen, denn normalerweise sehe ich in meinen Visionen nur weibliche Personen. Sie sind gesprungen – oder gefallen? Ich glaube, Sie wollten jemanden retten. Aber Sie haben es nicht geschafft. Sie waren nicht stark genug. Sie sind untergegangen.«
    Sie klang unbeteiligt und gelassen. Sie hätte über das Wetter reden können. Und aus irgendeinem Grund erschreckte ihn ihre Vision nicht. Die Frau wirkte lahm und dumm, wie eine Varietékünstlerin mit einer drögen, langweiligen Nummer.
    Plötzlich kam ihm das Ticken der alten Standuhr im Flur übermäßig laut vor. Sie mussten sie unbedingt loswerden, seine Schwiegermutter hatte ihnen die Uhr zum Einzug geschenkt. Musste er sich tagtäglich anhören, wie sein Leben im Sekundentakt verstrich?
    »Wissen Sie, Mrs. Montgomery«, sagte er, »ich glaube, Sie brauchen Hilfe.«
    »Ja, Mr. Cooper, Sie haben recht. Ich brauche tatsächlich Hilfe.« Zu seiner großen Erleichterung stand sie auf und ging zur Tür.
    »Tja, falls ich mich eines Tages an einem Ufer wiederfinde, um jemanden zu retten, werde ich unbedingt darauf achten, festen Boden unter den Füßen zu haben«, sagte er und trat beiseite, um sie durchzulassen. »Vielen Dank für die Warnung.«
    »Meinen Sie wirklich, Sie würden darauf Rücksicht nehmen? Das bezweifle ich.« Sie legte eine Hand an den Türgriff und hielt inne.
    »Es käme wohl auf die Umstände an«, sagte Jones. »Ob ich helfen könnte oder nicht. Auf die Höhe des Risikos. Und nicht zuletzt auf die Person im Wasser.«
    Warum unterhielt er sich überhaupt mit ihr? Ganz offensichtlich war die Frau geistesgestört, sie gehörte in eine Klinik und sollte nicht frei herumlaufen dürfen. Sie stellte eine Gefahr für sich und andere dar. Sie sah ihn nicht an, sondern stand mit gesenktem Kopf an den Tür.
    »Ich glaube, Sie können das Risiko nicht einschätzen«, sagte sie. »Es gibt Mächte, die stärker sind als Ihr Wille. Das sollten Sie nicht vergessen.«
    Jedem anderen, der vom Tod so besessen war wie Jones, hätte in diesem Moment das Herz gestockt. Aber Jones fand das Ganze nur lächerlich. Es war geradezu eine Erleichterung,

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