Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
ehelichen Schlafzimmer verwandelten sich in eine Horde gieriger Zombies, die ihn stumm belauerten. Wann? Wie? Herzinfarkt. Krebs. Ein dummer Unfall. Würde es schnell zu Ende gehen? Oder würde er langsam und unter unwürdigen Umständen dahinsiechen? Und was käme danach, wenn überhaupt etwas kam?
Er war nicht gläubig. Genauso wenig hatte er ein reines Gewissen. Er glaubte nicht an einen gütigen Gott, an ein Jenseits voller Licht und Liebe. Er konnte sich nicht wie andere auf derlei Krücken stützen; scheinbar waren alle auf geheimnisvolle Art vor dem Schreckgespenst der eigenen Sterblichkeit geschützt. Alle außer Jones.
Seine Frau Maggie hatte von den nächtlichen Panikattacken genug. Am Anfang hatte sie ihm beigestanden und auf ihn eingeredet: Ruhig, Jones, atme einfach weiter. Beruhige dich. Alles ist in Ordnung. Aber selbst sie, die unendlich geduldige Therapeutin, hatte sich angewöhnt, im Gästezimmer oder auf dem Sofa zu schlafen, manchmal sogar im Kinderzimmer ihres Sohnes, das leer stand, seit Ricky an der Georgetown Universität studierte.
Seine Frau war überzeugt, dass die Attacken etwas mit Rickys Auszug zu tun hatten. »Wenn ein Kind auszieht, um aufs College zu gehen, ist das ein Meilenstein. Es ist völlig normal, dann über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken«, hatte sie gesagt. Offenbar war Maggie der Ansicht, die eigene Sterblichkeit zu akzeptieren wäre ein nützliches Ritual, dem sich niemand entziehen durfte. »Aber ab einem bestimmten Punkt schlägt die Nachdenklichkeit in Selbstmitleid oder gar Selbsthass um. Du musst einsehen, dass es fast schon wie sterben ist, sich immer und überall vor dem Tod zu fürchten.«
Dabei hatte er den Eindruck, als Einziger über den Tod nachzudenken. Anscheinend spazierten die anderen munter durchs Leben, ohne einen Gedanken ans drohende Ende zu verschwenden. Sie trieben sich stundenlang bei Facebook herum, quatschten im Starbucks-Drive-in in ihr Handy oder fläzten sich aufs Sofa, um hirnverbrannten TV -Müll zu konsumieren. Die Leute dachten kein bisschen nach – nicht übers Leben, nicht über den Tod und nicht über ihre Mitmenschen.
»Also wirklich, nimm die Dinge nicht so schwer, mein Schatz.« Das waren ihre letzten Worte an diesem Morgen gewesen, bevor sie sich auf den Weg zu ihrem ersten Patienten gemacht hatte. Er versuchte wirklich, die Dinge nicht so schwerzunehmen.
Jones harkte Laub; die riesige Eiche vor dem Haus hatte fast alle ihre Blätter verloren. Jones hatte das Laub neben dem Rinnstein zu einem Haufen aufgetürmt. Seit sie in dem Haus wohnten, hatte ein Gärtner die Aufgabe übernommen, aber nach seiner Pensionierung vor einem Jahr hatte Jones beschlossen, alle Arbeiten selbst zu erledigen. Er mähte den Rasen, trimmte die Hecken, säuberte den Pool und putzte die Fenster. Jetzt harkte er das Laub zusammen, in Kürze würde er in der Einfahrt Schnee schippen. Erstaunlich, wie schnell so ein Arbeitstag verging, wenn Jones von morgens bis abends vor sich hinwerkelte, wie Maggie es nannte – Glühbirnen auswechselte, Bäume beschnitt, die Autos wusch.
Wird dir das reichen? Du bist dafür zu intellektuell. Können diese Aufgaben dich wirklich zufriedenstellen? Seine Frau überschätzte ihn. Er war kein bisschen intellektuell. Die Nachbarn fingen an, fest mit ihm zu rechnen; sie freuten sich, einen pensionierten Cop in der Nähe zu wissen, wenn sie auf Reisen oder zur Arbeit gingen. Er ließ die Handwerker ins Haus, leerte den Briefkasten, knipste abends eine Lampe an, behielt die Grundstücke im Auge und pflegte seine Waffensammlung. Am Anfang hatte Maggie sich über die Nachbarn geärgert, die unangemeldet klingelten und um dieses oder jenes baten, ganz besonders, da Jones sich weigerte, Geld anzunehmen, nicht einmal von Fremden. Aber dann fingen die Leute an, Geschenke vor die Tür zu stellen – eine Flasche Whisky oder einen Restaurantgutschein für das Grillmarks, ein schickes Steakhouse.
»Du solltest ein Geschäft draus machen«, hatte Maggie gesagt. Während eines von den Pedersens bezahlten Abendessens war sie plötzlich ganz enthusiastisch geworden. Jones hatte die hinterlistige Katze der Pedersens eine Woche lang gefüttert.
Er spöttelte: »Klar. Nutzloser Nachbar hängt den ganzen Tag rum und hat nichts zu tun, als den Klempner ins Haus zu lassen. Meinst du das?«
Sie lächelte ihn schief an, was er stets an ihr gemocht hatte. Sie zog einen Mundwinkel hoch, so wie immer, wenn sie ihn lustig fand, es
Weitere Kostenlose Bücher