Gnade
sprach. »Ich war schnell?«
»Na, als Sie ihr eine verpasst haben«, erläuterte Jake. »Was meinen Sie wohl, woher sie dieses Veilchen hat?«
»Das war ich?« Theo konnte es nicht fassen. Er vermochte sich nicht mehr zu erinnern, und Michelle hatte kein Wort davon gesagt. »Sind Sie sicher?«
»Und ob! Ich schätze, Sie wollten Mike gar nicht schlagen. Sie litten zu der Zeit unter höllischen Schmerzen. Sie hatten Glück, dass Michelle Sie gefunden hat.« Er lehnte sich an das Bettgestell und verschränkte die Arme vor der Brust. »Normalerweise redet meine Tochter nicht über ihre Patienten. Aber ich wusste, dass sie auf diese vornehme Party ging und ein nagelneues Kleid trug, für das sie eigentlich kein Geld ausgeben wollte. Und als ich sie fragte, ob sie einen schönen Abend hatte, erzählte sie mir von Ihnen. Sie war gerade erst in den Festsaal gekommen, da hat sie Sie entdeckt und machte gleich kehrt, um Sie ins Krankenhaus zu bringen. Sie hat nicht einen einzigen Bissen gegessen.«
»Dann muss ich mich unbedingt noch bei ihr entschuldigen!«
»Sie haben ihr Kleid zerstört. Vielleicht sollten Sie ihr sagen, dass Ihnen das auch Leid tut.«
»Was habe ich?«
»Erst haben Sie sich darauf übergeben.« Jake grinste, dann schüttelte er den Kopf. »Das neue Vierhundert-Dollar-Kleid ist vollkommen ruiniert!«
Theo ächzte. Er wusste nichts mehr von alldem.
»Sie sollten sich nun ausruhen. Falls Sie meine Tochter sehen, sagen Sie ihr bitte, dass ich in der Halle auf sie warte, ja? Es war ehrlich nett, Sie kennen zu lernen!«
»Warum warten Sie nicht hier?«, schlug Theo vor. »Ich habe weiß Gott genug geschlafen«, fügte er hinzu. »Wenn Ihre Tochter nach Ihnen sucht und herkommt, kann ich mich sofort bei ihr entschuldigen – und mich bedanken.«
»Ich kann mich ja ein Weilchen zu Ihnen setzen. Aber ich möchte nicht, dass Sie sich meinetwegen zu sehr anstrengen.«
»Keine Sorge!«
Jake zog einen Stuhl ans Bett und nahm Platz. »Wo sind Sie denn zu Hause, mein Junge? So wie Sie reden, tippe ich auf die Ostküste.«
»In Boston.«
»Da war ich noch nie«, gestand Jake. »Sind Sie verheiratet?«
»Ich war es.«
»Geschieden?«
»Nein, meine Frau ist gestorben.«
Theos Tonfall legte nahe, dass er keine weiteren Fragen in dieser Richtung wünschte.
»Und was ist mit Ihren Eltern? Leben die noch?«
»Ja«, antwortete Theo. »Ich stamme aus einer großen Familie. Wir sind acht Geschwister, sechs Jungs und zwei Mädchen. Mein Vater ist Richter. Er versucht schon seit längerem, in den Ruhestand zu gehen, aber bisher ist ihm das noch nicht gelungen.«
»Ich glaube, ich bin noch nie einem Richter persönlich begegnet«, sagte Jake ehrfürchtig. »Meine Frau Ellie hat sich auch immer eine große Familie gewünscht, und wenn es so gekommen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich gut überlegen müssen, wie ich die Kinder alle ernähre. Ich war bereit, meinen Teil dazu zu tun, aber wir mussten bei drei Kindern aufhören. Ich hab zwei Jungs und ein Mädchen.«
»Wo genau wohnen Sie, Sir? Ihre Tochter hat mir von ihrer Praxis erzählt, aber den Namen ihrer Heimat hat sie nicht genannt.«
»Sagen Sie Jake zu mir«, bat der ältere Mann. »Bowen, Louisiana, da kommen wir her, aber ich glaube nicht, dass Sie davon schon mal gehört haben. Das Städtchen ist nicht groß – nicht einmal ein winziger Fleck auf der Landkarte. Aber es ist der schönste Landstrich in ganz Louisiana. An manchen Abenden, wenn die Sonne untergeht und der Wind auffrischt, wehen die Pflanzen in der Brise, und das Licht spiegelt sich im Bayou, und die Ochsenfrösche und Alligatoren fangen an zu singen … Also an diesen Tagen, mein Junge, denke ich, ich bin im Paradies, so schön ist es! Die nächste Stadt ist St. Claire, und dort machen die Leute samstags immer ihre Einkäufe. Also, wir sind nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Im Norden von St. Claire gibt es sogar ein Krankenhaus. Es ist alt, aber es genügt«, setzte er hinzu.
»Leben Ihre Söhne auch in Bowen?«
»Remy, mein Ältester, lebt in Colorado. Er ist Feuerwehrmann und noch ledig. Er kommt regelmäßig zu Besuch«, erklärte Jake. »John Paul war in der Marine und ist vor zwei Jahren nach Bowen zurückgekehrt. Er ist auch nicht verheiratet. Ist zu beschäftigt, nehme ich an. Er lebt in einer hübschen kleinen Hütte, die er sich im Sumpf gebaut hat, und wenn er nicht gerade in meiner Kneipe arbeitet, ist er Zimmermann. Im letzten Jahr haben wir die neue
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