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Gnade

Gnade

Titel: Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Garwood
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hielt den Kopf gebeugt und schrieb gerade konzentriert etwas in ihren Terminplaner.
    Cameron konnte sich nicht erinnern, wo er die Frau schon einmal gesehen hatte, aber er freute sich, dass sein Freund abends ausging, auch wenn es sich offensichtlich nur um einen geschäftlichen Termin handelte. Johns Stimmung war seit dem Tod seiner Frau ziemlich unbeständig. In einer Minute war er himmelhoch jauchzend, und in der nächsten zerfloss er vor Selbstmitleid und verfiel in tiefe Depressionen.
    Die Blondine hob nun den Kopf, und Cameron konnte ihr Gesicht erkennen. Sie war sehr hübsch, aber er vermochte sie nach wie vor nicht einzuordnen. Er beschloss, die beiden kurz zu stören und Hallo zu sagen. Er bestellte noch einen doppelten Scotch zur Stärkung, damit er die Tortur mit seinem Anwalt besser überstand, dann schlängelte er sich zwischen den Tischen hindurch und ging ins Nebenzimmer.
    Hätte er nicht aus Versehen seinen Stift fallen lassen, hätte er die Wahrheit nie erfahren. Er bückte sich, um den Stift aufzuheben, und als er aufblickte, sah er, wie John seine Hand unter dem weißen Tischtuch auf den Schenkel der Blondine legte. Sie spreizte die Beine und rutschte der Hand ein wenig entgegen, die nun langsam nach oben unter ihren Rock wanderte.
    Cameron war so schockiert, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Er fing sich jedoch schnell wieder und richtete sich eilig auf. Weder John noch die Frau hatten ihn wahrgenommen. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und schaute unter halb geschlossenen Lidern ins Leere. Es war nicht zu übersehen, dass sie Johns Liebkosungen sehr genoss. Camerons Ungläubigkeit machte Verwirrung Platz. Und plötzlich fiel ihm ein, wer diese Blondine war, obwohl er sich nicht auf ihren Namen besinnen konnte. Sie war diese geistlose Person, die sich als Innenarchitektin bezeichnete. Cameron hatte sie in Johns Büro kennen gelernt. O ja, jetzt erinnerte er sich wieder. Sie besaß weder Geschmack noch Talent und hatte das Büro seines Freundes in den Salon eines Bordells verwandelt, indem sie die mit wunderschönem Walnussholz getäfelten Wände in einem aufdringlichen Senfgelb hatte streichen lassen.
    Aber offenbar besaß sie auf einem anderen Gebiet mehr Talent. John hatte sichtlich Mühe, sich nicht die Lippen zu lecken, und sein begehrlicher Blick auf ihren Schmollmund ließ darauf schließen, dass sie im Bett einiges zu bieten hatte. Cameron blieb eine Weile lang im Durchgang stehen und starrte den Rücken seines Freundes an, und langsam dämmerte es ihm.
    Dieser Hurensohn hatte sie alle hinters Licht geführt!
    Cameron schüttelte fassungslos den Kopf, gleichzeitig kochte die Wut in ihm hoch. Er wirbelte herum und ging schnell zu seinem Tisch zurück. Er versuchte sich einzureden, dass er vielleicht voreilig falsche Schlüsse zog. Er kannte John schließlich seit Jahren und hatte ihm stets vertraut.
    Bis jetzt. Verdammt, was hatte John bloß mit ihnen gemacht? Geschickte Betrugsdelikte, die man ihnen nicht nachweisen konnte, waren eine Sache, Mord eine völlig andere. Der Club war nie zuvor so weit gegangen, und was alles noch entsetzlicher machte, war die Tatsache, dass sie sich gegenseitig davon überzeugt hatten, eine gute Tat zu vollbringen. Das durften sie wirklich niemandem erzählen – jeder halbwegs vernünftige Mensch würde sie kurzerhand auslachen.
    War Catherine tatsächlich unheilbar krank gewesen? War sie wirklich langsam und qualvoll dahingesiecht, ständig den Tod vor Augen? Oder hatte John seine Freunde belogen, damit sie die Drecksarbeit für ihn erledigten?
    Nein, das war unmöglich! John würde keine Märchen über den Zustand seiner Frau verbreiten. Er hatte sie doch geliebt!
    Cameron wurde übel. Er wusste nicht, was er von alldem halten sollte, aber es war auf jeden Fall unfair, den Freund zu verteufeln, bevor er nicht alle Fakten kannte. Dann kam ihm in den Sinn, dass die Affäre – falls es eine war – auch erst nach Catherines Tod begonnen haben konnte. Er klammerte sich geradezu an diesen Gedanken. Ja, natürlich, so musste es sein. John hatte die Innenarchitektin natürlich schon vor dem Tod seiner Frau gekannt, Catherine hatte die Blondine ja beauftragt, ihr Schlafzimmer neu einzurichten. Und was bedeutete das? Nach Catherines Ableben hatte John getrauert und sich einsam gefühlt, und die junge Frau war gerade verfügbar gewesen. Sie hatte sich wahrscheinlich gleich nach der Beerdigung auf ihn gestürzt und seine Verletzlichkeit

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