Gnade
er ihm in nichts nachzustehen.
»Ich sage Ihnen eins: Sie müssen unbedingt nach Bowen kommen! Wir haben die besten Fischgewässer im ganzen Staat, und das möchte ich Ihnen gern beweisen. Wir könnten schöne Stunden an meinem Steg verbringen.«
»Vielleicht nehme ich Sie eines Tages beim Wort und erinnere Sie an dieses Angebot«, sagte Theo.
»Womit verdienen Sie eigentlich Ihr Geld?«, wollte Jake wissen.
»Ich bin Anwalt.«
»Und wie kommt’s, dass Ihnen der Polizeichef Blumen schickt?«, erkundigte sich Jake. Verlegen fügte er hinzu: »Die standen auf dem Tisch im Schwesternzimmer, bevor man sie Ihnen gebracht hat, und ich habe zufällig den Namen auf der Karte gelesen.«
»Ich bin nach New Orleans gekommen, um eine Rede zu halten«, erläuterte Theo, verschwieg jedoch, dass er von den örtlichen Behörden geehrt werden sollte. »Ich arbeite für das Justizministerium, als Bundesanwalt.«
»Und was machen Sie genau?«
»Ich habe in einer Sonderkommission mitgearbeitet.« Ihm fiel selbst auf, dass er ausweichend antwortete, und er ergänzte: »Es ging um das organisierte Verbrechen. Der Fall ist aber mittlerweile abgeschlossen.«
»Haben Sie den Bösewicht geschnappt?«
Theo lächelte. »Ja.«
»Und was machen Sie nun?«
»Im Moment habe ich noch keine neue Aufgabe«, antwortete Theo. »Das Ministerium möchte, dass ich weitermache, aber ich bin noch nicht sicher, ob ich das tun werde.«
Jake fragte ihn weiter aus. Er würde einen guten Staatsanwalt abgeben, dachte Theo bei sich. Jake hatte wirklich einen scharfen Verstand.
»Haben Sie jemals daran gedacht, eine eigene Kanzlei aufzumachen?«, erkundigte sich Jake.
»Manchmal schon.«
»In Bowen gibt es überhaupt keine guten Anwälte. Wir haben zwei drüben in St. Claire, aber die rauben einem das letzte Hemd. Die Leute halten nicht viel von ihnen.«
Während Jake erneut von seinem Städtchen erzählte, überlegte Theo, wie er das Gespräch wieder unauffällig auf Michelle lenken konnte.
»Ist Ihre Tochter verheiratet?« Das war wirklich sehr unauffällig!
»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie sich endlich wieder aufraffen, nach Mike zu fragen. Die Antwort lautet Nein. Sie hat auch gar keine Zeit für so was. Selbstverständlich würden alle Männer in Bowen und St. Claire gern mit ihr anbandeln, aber sie hat so viel mit ihrer Praxis zu tun, dass sie sie gar nicht weiter beachtet. Außerdem ist sie noch zu jung zum Heiraten«, setzte er hinzu. »Und zu intelligent. Mein kleines Mädchen ist wirklich gescheit! Sie war noch nicht mal zwanzig, als sie mit dem College fertig war und mit dem Medizinstudium anfing. Sie musste außerhalb des Staates ihre Assistenzzeit ableisten, aber sie hat mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit besucht. Sie ist ein echter Familienmensch.« Jake nickte bedächtig. »Und hübsch ist sie obendrein, nicht wahr?«
»Ja, und wie.«
»Dachte ich mir doch, dass Ihnen das aufgefallen ist!«
Jake stand auf und rückte den Stuhl an die Wand. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, aber jetzt sollte ich besser gehen. Sie brauchen Ihren Schlaf, und ich bringe jetzt endlich den Karton hinunter zum Auto. Dr. Cooper überlässt meiner Tochter ein paar medizinische Geräte, und als sie mich bat, den Karton zu holen, hat sie gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Falls Sie jemals nach Bowen kommen, schauen Sie auf jeden Fall im Schwan vorbei! Das ist meine Kneipe«, erklärte Jake. »Ihre Getränke gehen natürlich aufs Haus.«
Er war schon an der Tür, als Theo ihn noch einmal aufhielt. »Falls ich Ihre Tochter nicht mehr sehe, richten Sie ihr bitte meinen Dank aus, und sagen Sie ihr auch, wie Leid mir die Sache mit dem Kleid tut.«
»Das mache ich gern.«
»Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja irgendwann mal wieder.«
Jake nickte. »Schon möglich.«
6
Johns Freunde traf es völlig unerwartet.
Zwei Wochen nach Catherines Begräbnis entdeckte Cameron den trauernden Witwer zufällig im Comander’s Palace, einem Vier-Sterne-Restaurant im Garden District. Cameron saß in einem der zahlreichen Räume und wartete auf seinen Anwalt, mit dem er sich wieder einmal über seine leidige Scheidung und die Unterhaltsansprüche seiner Verflossenen beraten wollte. Sie war fest entschlossen, ihn finanziell zu ruinieren und bei der Verhandlung öffentlich bloßzustellen, und so wie es aussah, hatte sie damit womöglich Erfolg.
John aß zusammen mit einer jungen Frau im Nebenzimmer. Die Blondine kam Cameron irgendwie bekannt vor. Sie
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