Gnade
aus New Orleans.«
»Oh, ich liebe New Orleans! Es gibt hier zum Beispiel tolle Restaurants.«
»Aber Sie würden nie für immer hier wohnen wollen.«
»Nein.«
»Also werden Sie die Ärztin in Ihrem kleinen Ort?«
»Eine von mehreren«, berichtigte sie. »Ich werde dort eine Praxis eröffnen. Es ist nichts Großartiges, aber es besteht echter Bedarf. Viele Leute haben nicht die Mittel, sich regelmäßig in der Stadt untersuchen oder behandeln zu lassen.«
»Die haben offenbar Glück, dass es Sie gibt.«
Sie schüttelte den Kopf. »O nein, ich bin die Glückliche!« Sie lachte. »Klingt, als wäre ich eine Heilige, was? Trotzdem – so sehe ich es nun mal. Die Menschen dort sind wunderbar, und sie geben mir weit mehr, als ich ihnen geben kann.« Ihr Gesicht strahlte. »Wissen Sie, was ich am meisten mag?«
»Was?«
»Dass sie einem nichts vormachen. Sie sind zum größten Teil ehrliche, ganz normale Leute, die sich das Geld zum Leben mühsam zusammenkratzen. Und sie verschwenden nicht viel Zeit mit Unsinn.«
»Also liebt jeder jeden?«, spottete Theo.
»Nein, natürlich nicht. Aber man kennt seine Feinde. Die Leute aus dem Dorf würden sich nicht von hinten anschleichen und über einen herfallen. Das ist nicht ihre Art.« Wieder lächelte sie. »Sie sagen einem direkt ins Gesicht, was ihnen nicht passt, und das mag ich. Wie gesagt – sie machen einem nichts vor. Nach meiner Assistenzzeit, die ich vor kurzem hinter mich gebracht habe, wird das eine erfrischende Abwechslung sein.«
»Ein schickes Büro mit allem Drum und Dran wird Ihnen nicht fehlen?«
»Eigentlich nicht. Es gibt Wichtigeres als Komfort. Klar, es wäre toll, gleich all die Geräte und Instrumente zu besitzen, die ich brauche, aber ich werde es schon schaffen. Ich habe mich schließlich jahrelang darauf vorbereitet … und außerdem habe ich ein Versprechen gegeben.«
Theo stellte Michelle immer mehr Fragen, damit sie noch ein wenig länger blieb und von sich erzählte. Er interessierte sich für ihre Pläne, aber noch mehr war er von ihrer Ausstrahlung fasziniert. Wenn sie von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrem Beruf sprach, lag in ihrer Stimme so viel Leidenschaft und Freude, und ihre Augen blitzten.
Theo fühlte sich an die Zeit erinnert, als er angefangen hatte in seinem Job zu arbeiten und noch nicht so zynisch war wie heute. Auch er hatte sich damals vorgenommen, die Welt zu verändern und zu verbessern. Rebecca hatte dem ein Ende gesetzt. Wenn er zurückblickte, dann musste er sich eingestehen, dass er kläglich versagt hatte.
»Ich habe Sie mit meinem Gerede über meinen Heimatort ermüdet. Ich lasse Sie jetzt schlafen. Ruhen Sie sich aus«, sagte Michelle nun.
»Wann kann ich hier raus?«
»Das hat Dr. Cooper zu entscheiden, aber wenn ich Ihre behandelnde Ärztin wäre, würde ich Sie noch ein paar Tage hier behalten. Sie hatten eine Infektion. Sie sollten es in den nächsten zwei Wochen langsam angehen lassen. Und vergessen Sie nicht, die Antibiotika zu nehmen. Viel Glück, Theo!«
Dann war sie weg, und Theo hatte keine Gelegenheit mehr, sie näher kennen zu lernen. Er wusste nicht einmal, wie der Ort hieß, von dem sie so sehr schwärmte. Doch noch während er überlegte, wie er es anstellen konnte, sie wiederzusehen, schlief er ein.
5
Als Theo aufwachte, war das Zimmer voller Blumen. Er hörte ein Flüstern auf dem Flur, schlug die Augen auf und sah eine Krankenschwester, die direkt vor der offenen Tür mit einem älteren Mann sprach. Sie deutete auf den Karton, den der Pfleger dagelassen hatte.
Der Mann sieht aus wie ein ehemaliger Linebacker, dachte Theo. Oder wie ein Boxer. Wenn das Dr. Renards Vater war, dann hatte sie ihre Schönheit von ihrer Mutter geerbt.
»Ich wollte Sie nicht stören«, sagte der Mann mit starkem Cajun-Akzent. »Ich möchte nur die Kiste abholen, die Dr. Cooper für meine Tochter gepackt hat, dann bin ich auch schon wieder weg.«
»Kommen Sie ruhig herein«, sagte Theo. »Sie sind Dr. Renards Vater, habe ich Recht?«
»Das stimmt. Mein Name ist Jake Renard.« Jake näherte sich dem Bett und reichte Theo die Hand. Theo brauchte sich nicht vorzustellen, denn Jake wusste bereits, wer er war. »Meine Tochter hat mir von Ihnen erzählt«, sagte Jake.
»Tatsächlich?« Theo konnte seine Überraschung nicht verbergen.
Jake nickte. »Sie müssen wirklich schnell sein, Junge, denn meine Mike kann normalerweise ganz gut auf sich aufpassen.«
Theo hatte keine Ahnung, wovon der Mann
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