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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Jungen auf einen Stuhl. »Es tut mir so leid«, sagte er immerzu, »aber es ist notwendig. Du mußt verstehen, daß es notwendig ist.« Sharon versuchte zu schreien, als Steve den Jungen an Armen und Beinen anschnallte und die Hand nach einem elektrischen Schalter ausstreckte.
    Sharon erwachte vom Ton einer heiseren Stimme, es war ihre eigene Stimme, die schrie:
    »Nein… nein… nein…«
6
    Um fünf Minuten vor sechs hasteten die wenigen Menschen auf den Straßen von Carley in Connecticut von den Autos in die Geschäfte. Es schneite und war so ungemütlich, daß an diesem Abend niemand auf irgend etwas anderes achtete.
    Niemand sah den Mann, der im Schatten am Rand des Cabin-Restaurant-Parkplatzes stand.
    Obwohl ihm der Wind die Schneeflocken ins Gesicht trieb, ließ er seine Augen ständig umherschweifen. Er stand schon fast zwanzig Minuten lang hier; seine Füße waren eiskalt.
    Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen; mit der Schuhspitze stieß er gegen den Segeltuchsack, der neben ihm stand. Er tastete nach den Waffen in seiner Manteltasche, befühlte sie mit den Fingerspitzen und nickte befriedigt.
    Die Lufts mußten jetzt jede Minute kommen. Er hatte das Restaurant angerufen und sich die Sechs-Uhr-Reservierung bestätigen lassen. Sie wollten dort zu Abend essen und sich anschließend die Original-Selznick-Version von Vom Winde verweht ansehen. Der Film lief im Carley Square Theater schräg gegenüber. Im Augenblick lief noch die Nachmittagsvorstellung. Sie wollten in die Vorstellung um halb acht.
    Plötzlich erstarrte er. Ein Wagen kam die Straße herunter und bog in den Parkplatz ein. Er schob sich hinter die Fichtenbäumchen, die das Grundstück umsäumten. Es war ihr Kombi. Er beobachtete, wie sie in der Nähe des Restauranteingangs parkten. Der Fahrer stieg aus und ging um den Wagen herum, um seiner Frau zu helfen, die sich ungeschickt auf dem glatten Asphalt zu halten versuchte. Er hakte sie unter, und vornübergebeugt gegen den Wind strebten sie breitbeinig und vorsichtig auftretend, aber so schnell wie möglich dem Eingang zum Restaurant zu.
    Er wartete, bis sie im Lokal verschwunden waren; dann bückte er sich und nahm den Sack auf. Rasch ging er hinter den Büschen um den Parkplatz herum, überquerte die Straße und eilte hinter das Kinogebäude.
    Hier parkten ungefähr fünfzig Autos. Er ging auf einen acht Jahre alten dunkelbraunen Chevrolet zu, der unauffällig in der entfernten rechten Ecke des Parkplatzes abgestellt war.

    Im Handumdrehen hatte er das Schloß geöffnet. Er schlüpfte hinter das Lenkrad, steckte den Schlüssel in die Zündung und ließ den Motor an. Er lief ruhig und leise. Mit einem dünnen Lächeln und einem letzten Blick über die menschenleere Umgebung gab er langsam Gas. Er fuhr ohne Licht am Kino vorbei in die stille Nebenstraße. Vier Minuten später bog er in die kreisförmige Auffahrt zu Petersons Haus an der Driftwood Lane ein und parkte hinter einem kleinen roten Vega.
7
    Die Autofahrt von Manhattan nach Carley dauerte gewöhnlich knapp eine Stunde, aber die schlechte Wettervorhersage hatte viele Pendler schon früher aufbrechen lassen. Wegen des starken Verkehrs und der Glätte auf den Landstraßen brauchte Sharon für ihre Fahrt zu Steves Haus fast eine Stunde und zwanzig Minuten. Sie bemerkte die nervenaufreibenden Verzögerungen jedoch kaum. Während der ganzen Fahrt überlegte sie, was sie Steve sagen sollte. »Es würde nicht gutgehen mit uns… Unsere Ansichten sind zu verschieden… Neil wird mich nie akzeptieren… Es wird leichter sein, wenn wir uns nicht mehr sehen…«
    Steves Haus, ein weißer, mit Schindeln verkleideter Bau im Kolonialstil mit schwarzen Läden, deprimierte Sharon ein wenig. Das Licht in der Vorhalle strahlte zu grell; die Büsche entlang der Grundmauern waren zu hoch. Sharon wußte, daß Steve und Nina nur wenige Wochen in diesem Haus gewohnt hatten und daß Steve nach Ninas Tod keine der Renovierungen mehr hatte ausführen lassen, die er beim Kauf des Hauses beabsichtigt hatte.
    Sie stellte ihren Wagen gleich hinter den Stufen zum Eingang ab und rüstete sich unbewußt für den Wortschwall, mit dem Mrs. Luft sie empfangen würde, und für Neils Kälte. Aber es würde das letzte Mal sein, und dieser Gedanke deprimierte sie noch mehr.
    Mrs. Luft hatte offensichtlich nach ihr ausgeschaut. Als Sharon aus dem Wagen stieg, wurde die Haustür aufgerissen. »Miß Martin, ach wie schön, Sie zusehen.« Mrs. Lufts untersetzte Gestalt

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