Gnadenfrist
Sharon den Instant-Kakao aus dem Schrank und gab einen gehäuften Teelöffel davon in einen Becher. Sie goß die heiße Milch darüber, rührte um und stellte den Topf ins Spülbecken.
Wie betäubt von Mrs. Thompsons Anschuldigungen ging sie ins Wohnzimmer.
Da läutete es.
Neil rannte zur Tür, bevor sie ihn aufhalten konnte. »Vielleicht ist es mein Vater.« Es klang erleichtert.
Er will nicht mit mir allein sein, dachte Sharon. Sie hörte ihn das Doppelschloß entriegeln, und plötzlich durchfuhr sie ein merkwürdiges Angstgefühl. »Neil, warte einen Augenblick«, rief sie. »Frag, wer es ist. Dein Vater hätte einen Schlüssel.«
Rasch setzte sie den Becher mit Kakao und ihr Sherryglas auf einen Tisch neben dem Kamin und lief in die Halle.
Neil gehorchte ihr. Seine Hand lag auf dem Türknauf, aber er öffnete nicht, sondern rief erst: »Wer ist da?« »Ist Bill Luft zu Hause?« fragte eine Stimme. »Ich hab’ den Generator, den er für Mr. Petersons Boot bestellt hat.« »Oh, das ist in Ordnung«, sagte Neil zu Sharon. »Mr.
Luft wartet schon darauf.«
Er drehte den Griff und wollte gerade die Tür aufziehen, als sie mit Wucht aufgestoßen wurde, so daß Neil gegen die Wand taumelte. Völlig verwirrt sah Sharon einen Mann in die Halle kommen und mit blitzartiger Geschwindigkeit die Tür hinter sich schließen. Neil sank nach Luft schnappend zu Boden. Instinktiv lief Sharon zu ihm. Sie half ihm auf die Beine und, einen Arm um ihn gelegt, wandte sie sich dem Eindringling zu.
Zwei völlig verschiedene Eindrücke brannten sich in ihr Bewußtsein ein: zum einen der stiere, glitzernde Blick des Fremden, zum anderen die schmale Pistole, die mit ihrem langen Lauf auf ihren Kopf zielte.
8
Die Besprechung im Konferenzzimmer des Events-Magazins dauerte bis sieben Uhr abends.
Hauptthema war der eben eingegangene Nielson-Report, der außerordentlich günstig ausgefallen war. Von den befragten College-Absolventen der Altersklasse fünfundzwanzig bis vierzig bevorzugten zwei von dreien Events gegenüber Time oder Newsweek. Außerdem war die Zahl der Abonnenten um fünfzehn Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, und die neue Regionalwerbung lief gut.
Am Ende der Sitzung erhob sich Bradley Robertson, der Verleger. »Ich glaube, wir können alle auf diese Statistiken stolz sein«, sagte er. »Fast drei Jahre harter Arbeit stecken darin, aber wir haben es geschafft. Es ist heutzutage nicht leicht, eine neue Zeitschrift durchzusetzen, und was mich betrifft, so möchte ich sagen, daß wir den entscheidenden Faktor für unseren Erfolg Steve Petersons kreativer Leitung verdanken.«
Nach der Sitzung fuhr Steve mit dem Verleger im Aufzug nach unten. »Ich danke dir nochmals, Brad«, sagte er. »Das war sehr großzügig von dir.«
Der Ältere zuckte die Achseln. »Ich war nur ehrlich. Wir sind über den Berg, Steve. Jetzt werden wir bald gutes Geld verdienen. Wird allmählich auch Zeit. Ich weiß, es ist nicht leicht gewesen für dich.«
Steve lächelte freudlos. »Nein, das war es nicht.«
Die Tür des Aufzugs öffnete sich, und sie betraten die große Vorhalle.
»Einen schönen Abend noch, Brad. Ich hab’s eilig. Ich muß den Siebenuhrdreißig-Zug bekommen…«
»Noch einen Augenblick, Steve. Ich habe dich heute morgen in der Today Show gesehen.«
»Ja?«
»Ich fand dich prima, aber auch Sharon. Und ich muß zugeben, daß ich persönlich mehr zu ihrer Auffassung neige.«
»Das tun viele Leute.«
»Ich mag sie, Steve. Sie ist ein blitzgescheites Mädchen. Sieht auch verdammt gut aus. Und sie ist echte Klasse.« »Ganz deiner Meinung.«
»Steve, ich weiß, was du in den letzten Jahren durchgemacht hast. Ich will mich nicht einmischen, aber Sharon wäre gut für dich… und für Neil. Laß keine aktuellen Streitfragen zwischen euch treten, so zwingend sie auch sein mögen.«
»Ich hoffe, daß das nicht eintritt«, antwortete Steve leise. »Und wenigstens bin ich jetzt imstande, Sharon etwas mehr zu bieten als einen finanziell abgewirtschafteten Kerl mit vorgefertigter Familie.«
»Sie könnte von Glück reden, euch beide zu bekommen, dich und Neil! Komm mit, mein Wagen steht draußen. Ich setz dich am Grand Central ab.«
»Großartig, Sharon ist nämlich heute bei mir draußen, und ich möchte den Zug nicht verpassen.«
Bradleys Limousine stand vor der Tür. Während Bradley sich geschickt durch das Verkehrschaos der Innenstadt schlängelte, lehnte sich Steve zurück und seufzte unbewußt.
»Du siehst
Weitere Kostenlose Bücher