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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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überlief. Er ließ den Sack fallen, den er mitgebracht hatte. Es war ein großer khakifarbener Kleidersack, wie ihn das Militär benutzte.
    Er langte in seine Tasche und holte ein Knäuel dicken Bindfaden und eine Packung Verbandszeug hervor. Er warf sie neben Sharon auf den Boden.
    »Verbinden Sie dem Jungen die Augen, und fesseln Sie ihn!« befahl er.
    »Nein! Das werde ich nicht tun.« »Besser, Sie tun, was ich sage.«
    Sharon warf einen Blick auf Neil. Er starrte auf den Mann. Seine Augen waren verschwommen, die Pupillen riesengroß. Sie erinnerte sich, daß er nach dem Tod seiner Mutter einen tiefen Schock erlitten hatte.
    »Neil, ich…« Wie konnte sie ihm helfen, ihn beruhigen?
    »Setz dich hin«, befahl der Eindringling mit scharfer Stimme. Das Kind blickte Sharon hilfeflehend an, dann setzte es sich gehorsam auf die unterste Treppenstufe.
    Sharon kniete neben ihm nieder. »Neil, hab’ keine Angst. Ich bin bei dir.« Mit zitternden Händen griff sie nach einer Binde und verband ihm die Augen.
    Dann blickte sie auf. Der Eindringling starrte Neil an, die Pistole war auf den Jungen gerichtet. Sie hörte ein Klicken. Sie zog Neil an sich, um ihn zu beschützen. »Nein… nein…
    nicht!«
    Der Eindringling sah Sharon an. Langsam senkte er die Pistole und ließ sie locker in seiner Hand baumeln. Er wollte Neil töten, dachte sie. Er war bereit, ihn zu töten…
    »Feßle den Jungen, Sharon.« Es war ein Befehl und eine plumpe Vertraulichkeit zugleich.
    Mit Fingern, die ihr kaum gehorchen wollten, nahm sie die Schnur und band Neils Handgelenke zusammen, wobei sie versuchte, die Fessel so locker anzulegen, daß sich das Blut nicht staute. Dann legte sie die Hände fest um Neils Handgelenke.
    Mit einem Messer langte der Fremde an ihr vorbei und schnitt das Ende der Schnur ab.
    »Beeil dich… bind ihm die Füße zusammen!«
    Sie spürte die Gereiztheit in seinem Ton und gehorchte sofort. Neils Knie zitterten so heftig, daß seine Beine hin und her schlugen. Sie wickelte die Schnur um seine Knöchel und befestigte sie.
    »Kneble ihn!«
    »Er wird ersticken, er hat Asthma…« Aber der Einwand erstarb ihr auf den Lippen. Das Gesicht des Mannes hatte sich irgendwie verändert, es war bleicher und angespannter geworden. Unter der straffen Haut über seinen hohen Wangenknochen zuckte ein Nerv. Er stand dicht vor einer Panik. Verzweifelt band sie Neil den Mund zu und ließ den Knebel so locker, wie sie dies wagen konnte. Wenn sich Neil nur nicht wehrte…

    Eine Hand schubste sie von dem Kind weg. Sie taumelte auf den Boden. Der Mann beugte sich über sie. Sein Knie grub sich in ihren Rücken. Er zog ihre Arme nach hinten. Sie fühlte, wie die Schnur in ihre Handgelenke einschnitt. Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. Ein Stoffbausch erstickte ihre Stimme. Eine Binde legte sich ihr über Mund und Wangen und wurde an ihrem Hinterkopf verknotet.
    Sie bekam keine Luft mehr… Bitte… Nein… Hände glitten über ihre Hüften, verweilten dort.
    Ihre Beine wurden zusammengepreßt; die Schnur drückte durch die weichen Lederstiefel.
    Sie wurde hochgehoben; ihr Kopf fiel hintenüber. Was hatte er mit ihr vor?
    Die Haustür ging auf. Kalte feuchte Luft schlug ihr ins Gesicht. Sie wog hundertfünfzehn Pfund, aber der Entführer eilte über die schneeglatten Eingangsstufen, als wöge sie überhaupt nichts. Draußen war es stockdunkel. Er mußte das Außenlicht abgeschaltet haben. Ihre Schultern stießen gegen etwas Kaltes, Metallisches. Ein Auto. Sie versuchte, durch die Nase tief einzuatmen und ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Nur nicht die Nerven verlieren. Sie mußte wieder einen klaren Kopf bekommen und denken.
    Sie hörte das knarrende Geräusch einer Tür, dann fiel sie. Ihr Kopf streifte einen offenen Aschenbecher. Mit Ellbogen und Knöcheln fing sie den Sturz ab, als sie auf dem muffig riechenden Boden aufschlug. Sie befand sich im Fond eines Autos.
    Knirschende Schritte, die sich entfernten. Der Mann ging ins Haus zurück. Neil! Was würde er mit Neil anstellen? Verzweifelt versuchte sie, ihre Hände freizubekommen. Brennender Schmerz schoß durch ihre Arme. Die rauhe Schnur schnitt tief in ihre Gelenke ein. Sie erinnerte sich, wie der Eindringling Neil angestarrt hatte.
    Minuten vergingen. Bitte, lieber Gott, bitte… Eine Tür wurde geöffnet. Die knirschenden Schritte kamen näher. Die rechte Vordertür des Wagens ging auf. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Undeutlich erkannte sie

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